Über Folgeschwangerschaften nach Fehlgeburt

Dr. Kerstin Kunzelmann, niedergelassene Frauenärztin in Berlin-Pankow, darüber, wie vorbelastet eine Schwangerschaft nach einer oder mehreren Fehlgeburten sein kann, und wie hoch dennoch die Wahrscheinlich ist, danach ein gesundes Kind zu bekommen.

Eine Schwangerschaft nach einer oder mehreren Fehlgeburten - wie wahrscheinlich ist diese?

Nach einem Frühabort kann eine Frau in den allermeisten Fällen eine unkomplizierte Folgeschwangerschaft austragen. Das statistische Risiko, dass es erneut zum Abort kommt, ist nur leicht erhöht. Ein kommt darauf an, was dem ursächlich zu Grunde lag, und eine pauschale Zahl zu nennen ist nicht möglich.

Kommt es zu einem weiteren Abort in Folge so wird die Wahrscheinlichkeit dann nochmal ein bisschen höher und bei drei Frühaborten in Folge ist das Wiederholungsrisiko bereits 50 Prozent - man spricht dann von einer habituellen Abortneigung.

Haben Frauen nach einer Fehlgeburt mehr Ängste vor einem Verlust als Frauen, die keine derartige Erfahrung machen mussten?

Sicherlich! Es sind nicht nur Verlust-, sondern auch Versagensängste oder Insuffizienzgefühle, die nur ein unkompliziertes Voranschreiten einer neuen Schwangerschaft wieder aufheben kann.

Ist diese Komponente eigentlich erforscht - dass ein Zusammenhang bestehen könnte zwischen Traumata und Tendenz zur Fehlgeburt?

Man weiß nur, dass auch Stress das Risiko von Fehlgeburten erhöhen kann, aber wie kann man Stress so messbar machen, dass er mess- und vergleichbar wird? Daher ist die Studienlage dünn. Es ist jedoch vorstellbar, dass eine vorangegangene Fehlgeburt so starken Stress bei der Schwangeren auslösen kann, dass es - vielleicht bei Vorliegen von weiteren ungünstigen Faktoren - erneut zum Abort kommt.

Wie begegnen Sie diesen Ängsten als Ärztin bzw. Praxis?

Ich biete an, die Frauen in den ersten Wochen häufiger zu sehen. Die Vorsorgeuntersuchungen sind zu dieser Zeit alle vier Wochen vorgesehen. Hier kann man durch zweiwöchige Termine mit kurzer Rückversicherung, dass der Embryo eine Herzaktion hat, vielen Frauen die Zeit erleichtern. Erste Kindsbewegungen werden ja erst in der 18. bis 20. SSW verspürt, so dass ich auch manchmal die Anschaffung eines kleinen Ultraschallgerätes (doptone o.ä.) empfehle.

Wie wichtig ist die psychosomatische Betreuung nach einer Fehlgeburt?

Das ist dann die Basis der Ärztin-Patientin-Beziehung. Auch wenn es den Schwangeren manchmal nicht bewusst ist - zunächst wird sie durch die bspw. häufigeren Besuche die Patientin aufgefangen. Auch eine offene und nicht direktive Haltung der betreuenden Ärztin ist wichtig. Es gilt zu erfassen, welche Ängste die Schwangere nun eigentlich beschäftigen. Da ist sehr wichtig, zuhören zu können, um die Angst oder den Stress ein wenig auffangen zu können.

Und werden Frauenärzt*innen in ihrer Ausbildung eigens dafür vorbereitet?

Man lernt schon, dass „Tender loving care“ in der Betreuung von Frauen mit Aborten extrem wichtig ist. Das ist aber eher eine Erfahrungssache und nichts, wofür es Kapitel in den Lehrbüchern gibt.

Gibt es weiterführende Beratungsstellen auf die Sie verweisen, wenn Sie merken, dass die Frau traumatisiert ist?

Es gibt Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen für Frauen nach traumatischer Geburt oder gar der Geburt eines kurz vor dem Geburtstermin verstorbenen Kindes. Beratungsstellen für Frauen, die einen Frühabort erlitten haben, sind mir nicht bekannt, aber sollte die Patientin in die Depression rutschen, so empfehle ich schonmal eine psychologische Weiterbetreuung. Im Schnitt dauert es drei bis sechs Monate, bis die Verarbeitung soweit ist, dass eine neue Schwangerschaft infrage kommt.

Wie "oft" tragen Frauen nach einer Fehlgeburt eine Schwangerschaft aus?

Ich habe nie eine Frau getroffen, die nach einer Fehlgeburt beschlossen hat, die wegen eine Wiederholungsrisikos keine weiteren Schwangerschaften gewünscht hätte. Es sei denn die Beziehung zum Partner ist zerbrochen. Die meisten, die erneut schwanger werden und bleiben, tragen dann auch ein gesundes Kind aus.

Frau Kunzelmann (Jahrgang 1975) ist in Berlin aufgewachsen und geblieben. Sie ist verheiratet und hat drei Kinder. Seit 2017 arbeitet sie, nach Stationen u.a. am Vivantes Friedrichshain, als niedergelassene Frauenärztin in der Berliner Praxis am Garbátyplatz in Pankow.