Barbara (35)Psychologin

Nicht auszuhaltende Schmerzen

Barbara erleidet eine Eileiterschwangerschaft. Wie schmerzvoll auch die körperliche Erfahrung einer solchen sein soll, vor allem, wenn sie nicht gleich erkannt und behandelt wird, und Blut in den Bauchraum gelangt, berichtet ihre Geschichte. Eine Geschichte, die auch ein Trauma hinterlassen hat.

Es ist Mittwoch, der 3. Mai 2017. Ich bin zum ersten Mal schwanger. Zumindest denke ich das noch. Etwa zwei Wochen zuvor bin ich um 7 Uhr morgens aufgestanden und habe einen Schwangerschaftstest gemacht. Als langsam die zweite rosa Linie auf dem Testfeld erschien, wusste ich zunächst nicht, wie mir geschieht. Auf Schock folgte langsame, verhaltene Freude. Aber was noch viel schneller aufkam, war Angst. Angst, dass mit dem Baby irgendwas nicht stimmen würde. Dass sein kleines Herz, so wie ich es von anderen gehört habe, aufhören würde zu schlagen, noch bevor ich den angeblich sicheren vierten Monat erreicht habe. Stets schien die Angst die Freude zu überschatten. So sehr ich mich auch bemühte und versuchte, mich davon frei zu machen. Bis zuletzt ist es mir nicht gelungen, die Angst aus meinem Kopf zu verdrängen.

Nun ist es wieder kurz vor 7 Uhr morgens. Mein Freund ist aufgestanden und im Badezimmer, um sich für die Arbeit fertig zu machen. Ich bin wach, bleibe aber noch im Bett liegen. Diese letzten wenigen Minuten ist alles noch, wie es sein soll. Ist alles noch in Ordnung. Als ich mir kurz drauf die Zähne putze, spüre ich jedoch die ersten Schmerzen in meinem Bauch. Oh nein, erinnere ich mich. Das war doch gestern Abend schon da. Für einen kurzen Augenblick hatte ich das tatsächlich vergessen. Aber heute fühlt es sich anders an. Stärker, und krampfartiger. Der Bund meiner Jeans fühlt sich unglaublich unwohl auf meinem Bauch an, obwohl er nicht einschneidet. Kurz bevor ich in die Arbeit aufbreche, ziehe ich mich deswegen nochmal um. Das halte ich sonst den ganzen Tag nicht aus, denke ich.

Auf meinem halbstündigen Arbeitsweg werden die Krämpfe schlimmer, sodass ich kaum mehr Auto fahren kann. Ich fahre die erstbeste Haltemöglichkeit an und bleibe stehen. Die Schmerzen sind schlimm, ziehen in die gesamte linke Seite meines Oberkörpers hinauf. Ich hechle kurzatmig, finde keine Position, die es besser macht. Für einen kurzen Moment werde ich panisch. Was, denke ich, wenn ich von hier nicht mehr weg komme? Ich nehme mein Handy und rufe zuerst meinen Freund, dann meine beiden Schwestern an. Der gewünschte Teilnehmer ist vorübergehend nicht erreichbar, sagt eine weibliche Computerstimme. Aber wie sollten sie mir auch helfen, so aus der Ferne? Also bleibe ich noch ein paar Minuten im Auto sitzen, warte bis die Krämpfe etwas nachlassen und fahre schließlich weiter, um es – ganz ich – noch pünktlich in die Arbeit zu schaffen.

Dort angekommen, kann ich der ersten Besprechung kaum folgen. "Du bist ganz grün im Gesicht", heißt es. Ich telefoniere mit meiner Schwester, die sich zwischenzeitlich zurückgemeldet hat. Sie rät mir, mich sicherheitshalber bei meinem Frauenarzt vorzustellen. Aber das will ich nicht ohne meinen Freund, denke ich. Es wäre der erste Termin beim Frauenarzt, welcher erst für die folgende, dann die 9. Schwangerschaftswoche, geplant ist. Den soll er doch nicht verpassen. Schon kurz darauf merke ich, wie die Schmerzen wieder stärker werden. Keine Position macht es erträglicher. Auch dass ich mich ratlos auf den Boden vor meinen Schreibtisch lege, wieder kurzatmig, schwindelig und kaltschweißig, hilft nicht.

Mir dämmert, dass ich in diesem Zustand alleine sowieso nirgends mehr hinfahren können werde. Also rufe ich doch meinen Freund in der Arbeit an und bitte ihn, mich abzuholen. Während ich auf ihn warte, gehe ich auf die Toilette und sehe es. Etwas verfärbt meinen Urin rötlich. Ok, das war es jetzt, denke ich sofort. Wie benommen gehe ich zurück in mein Büro. Kurz darauf ist mein Freund endlich da. Wir fahren zu meinem Frauenarzt. Auf der Autofahrt durchfährt erneut ein krampfartiger Schmerz meinen Bauch, den ich hechelnd versuche weg zu atmen. Mein Freund guckt besorgt. Ich erzähle ihm von meiner Blutung und sage wieder: Ich glaube, das war es jetzt.

In der Praxis meines Frauenarztes angekommen, werde ich vor der Tür des Wartezimmers ohnmächtig. Bis ich aufgerufen werde, werde ich deswegen auf eine Liege in ein Zimmer gelegt, dessen Wände über und über tapeziert sind mit Babyfotos und Geburts-Dankeskarten. Ich lese verschiedene Babynamen und denke, nichts dabei, was mir gefällt. Vielleicht ist es der Blinddarm, der ist doch rechts. "Tut aber links weh", sage ich zu meinem Freund. Und etwas später: Oder es ist eine Eileiterschwangerschaft? Als mein Frauenarzt mich schließlich untersucht, kann er im Ultraschall nichts in der Gebärmutter erkennen. Dafür jede Menge freie Flüssigkeit im linken Eileiter. Ich soll mich im Krankenhaus vorstellen. Da mein Frauenarzt es nicht ausspricht, frage ich selbst nach, wie durch einen dicken Nebel: Ob eine Eileiterschwangerschaft besteht? Die Antwort Es könne auch sein, dass die Schwangerschaft noch nicht so weit fortgeschritten ist, wie gedacht, und man deshalb noch nichts in der Gebärmutter sieht, und eine Zyste im Eierstock geplatzt ist, und in diesen hineinblute.

Aber, sagt er, und sieht mich dabei irgendwie entschuldigend an, sein Bauch sage ihm, dass es das nicht ist. Und wenn es eine Eileiterschwangerschaft ist: "Muss man "das" alles entfernen?", frage ich. Ich traue mich nicht, das Wort „Embryo“ oder gar „Baby“ zu benutzen. Komischerweise fühle ich irgendwie gar nichts. Er bestätigt meine Frage und sagt, es tue ihm leid. "Da können Sie ja nichts für", höre ich mich im Aufstehen sagen, bevor mein Freund und ich das Arztzimmer verlassen und uns Richtung Krankenhaus aufmachen.

Bei jedem Stoß des Kopfsteinpflasters, über das wir fahren, verkrampfe ich innerlich vor Schmerz. In der Schlange vor dem Informationsschalter des Krankenhauses. Im Wartebereich des Büros der Anmeldung, für die man eine Nummer ziehen muss. Im Büro der Anmeldung – während der Drucker gemächlich alle notwendigen Unterlagen ausspuckt und das Kartenlesegerät meine Krankenversicherungskarte einliest. Im Wartebereich der gynäkologischen Ambulanz, in die wir geschickt werden. Während der Voruntersuchungen, die eine Krankenschwester zunächst einmal durchführt, nachdem wir aufgerufen werden. Während all dessen, blute ich unwissentlich langsam aber stetig innerlich vor mich hin. Die Schmerzen werden zunehmend größer, mein Kreislauf zunehmend schlechter. Wiederholt kämpfe ich gegen das ständig anschwellende Dröhnen in meinen Ohren an, muss mich mehrmals hin- und die Beine hochlegen. Nur nicht nochmal ohnmächtig werden, denke ich. Als ich mit letzter Kraft und mit Unterstützung meines Freundes, für den ich in diesem mir zutiefst unangenehmen Moment nichts als Liebe empfinde, die geforderte Urinprobe abgegeben habe, lasse ich mich auf den Boden vor der Besuchertoilette gleiten und bleibe, den Knopf meiner Jeans noch nicht wieder geschlossen, liegen.

Ich kann nicht mehr. Eine Assistenzärztin kommt zu mir. Ich werde auf einer Liege in ein Untersuchungszimmer geschoben, in dem eine Oberärztin auf mich wartet. Ich werde erneut per Ultraschall untersucht. "Da ist jede Menge Blut", höre ich die Oberärztin sagen, während sie auf den Bildschirm schaut. Die nächsten Sätze dringen nur noch in mir nicht mehr nachvollziehbarer Reihenfolge zu mir durch. Dass das viele Schwarze hier alles Blut sei, auch im Bauch. Dass mein Eileiter eigentlich nicht zu sehen sein sollte, aber er ist bereits so dick, sagt sie, und formt dabei mit ihrem Daumen und Zeigefinger einen Kreis, der den Durchmesser eines kleinen Apfels hat. Und der Embryo? Hier, sagt sie, sieht man noch den Dottersack im Eileiter. Ein resignierter Tonfall. Danach geht alles plötzlich sehr schnell.

Keine 10 Minuten später werde ich fertig vorbereitet in den OP geschoben. Mein Freund, der alle meinen Sachen notdürftig verpackt in dünnen schwarzen Müllsäcken in der Hand hält, darf sich kurz verabschieden und bleibt ratlos zurück. Ich möchte es mir verkneifen, aber es gelingt mir nicht, und ich beginne zu weinen.

Ich habe lange Zeit gebraucht, um diese Erfahrung zu verarbeiten. Auch wenn ich von Anfang an Angst hatte, dass etwas schief gehen würde: Diese Wendung der Geschichte hat mich eiskalt erwischt. Obwohl ich fast auf den Tag genau 18 Monate später zum ersten Mal meine Tochter im Arm halten durfte, bleibt das Thema Kinderwunsch und Schwangerschaft für mich belastet. Auch der Weg zu einem Geschwisterkind stellte sich als steinig heraus. Er führte vorbei an einer langen Kinderwunschbehandlung, an einer diesmal – wie es medizinisch korrekt genannt wird – biochemischen Schwangerschaft, an vielen enttäuschten Hoffnungen. Ob er uns letztlich zum Erfolg führen wird, bleibt offen. Mein Weg ist jedoch, zeigt mir zwischenzeitlich die Erfahrung, wenn auch vielleicht nicht die Norm, bei weitem keine Ausnahme. Deswegen habe ich mich entschlossen, ihn zu teilen. Auf dass er dazu beiträgt, dies zu zeigen.

Obwohl ich fast auf den Tag genau 18 Monate später zum ersten Mal meine Tochter im Arm halten durfte, bleibt das Thema Kinderwunsch und Schwangerschaft für mich weiterhin belastet.

Das Ende vom Anfang – Barbara
Barbara (35)Psychologin

Ich bin Barbara, 35 Jahre alt, Psychologin und gerade in den Endzügen sowohl meiner Elternzeit, als auch meiner Weiterbildung zur Psychotherapeutin. Aus meinem Freund ist zwischenzeitlich mein Ehemann geworden.

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Am 28.03.2021 veröffentlicht.
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Paula

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