Ein Schritt zurück und ein Blick nach vorne
"Wir waren so aufgeregt, wie man es in der ersten Schwangerschaft nur sein kann." So positiv beginnt Janinas Geschichte - bis sie in der 10. Woche zu bluten begann und ins Krankenhaus fuhr.
Wie schnell sich das Leben ändern kann. Erst ändert sich alles einmal. Das Leben scheint auf dem Kopf zu stehen. Nichts war wie noch ein paar Tage zuvor. Der Schwangerschaftstest war positiv. Das war so schnell, damit hatten wir noch gar nicht gerechnet. Ein Monat und schon war ich schwanger. Wir freuten uns wahnsinnig. Über Namen oder das Geschlecht machten wir uns gar keinen Kopf, sondern darüber wie unsere Zukunft aussehen wird; wohin wir reisen, wie lange wir reisen, wie unsere Elternzeit aussehen wird. Wir waren so aufgeregt, wie man es in der ersten Schwangerschaft nur sein kann. Unsere Zukunft lag vor uns, so deutlich gezeichnet und so rosig.
Angst, dass etwas schief gehen könnte, hatten wir nicht. Ich war sehr entspannt, suchte mir ein Geburtshaus und wollte so wenig Ärzt/innen wie möglich sehen. Für mich ist Schwangerschaft etwas Natürliches, ich bin gesund, in meiner Familie gab und gibt es keine Behinderungen, großartige Komplikationen, Sturzblutungen oder ähnliches. Ich dachte mir, ich mache alles nach meinem Gefühl, nur die Pflichtuntersuchungen bei der Gynäkologin, ansonsten zur Hebamme, keine Pränataldiagnostik und – bis auf die absoluten No Go’s – eine normale, unkomplizierte Ernährung. Ich hab Sport gemacht wie immer, und hatte tatsächlich nicht das Gefühl, ich müsse meine Hebamme oder Gynäkologin häufiger kontaktieren als bei den ausgemachten Terminen.
Mein Gefühl trügt mich eigentlich selten. Mein Herz sagt mir immer, was gut für mich ist. Aber wenn etwas einfach aufhört zu wachsen, man das „Kind“ in einem selbst noch gar nicht spürt, der Körper immer noch findet, er ist schwanger, dann gibt es kein „Bauch“gefühl. Zumindest bei mir in diesem Fall nicht.
Das Kind war viel zu klein. Zehn Mal zu klein. Es wäre nicht klar, in welche Richtung es nun gehen würde.
Aus dem Nichts heraus spürte ich in der zehnten Woche, dass mein Slip feucht wurde. Als ich nachschaute, sah ich etwas Blut. Ich war zwar beunruhigt, wusste aber, dass leichte Blutungen durchaus vorkommen können. Es wurde aber mehr und die Krämpfe schlimmer, so dass ich am nächsten Morgen mit meinem Freund ins Krankenhaus fuhr. Die Ärztin meinte, die Blutungen würden sie nicht beunruhigen. Aber das Kind sei viel zu klein. Zehn Mal zu klein. Es wäre nicht klar, in welche Richtung es nun gehen würde. Sie schickte mich wieder nach Hause. Ich hätte meinem Freund einen anderen ersten Ultraschall gewünscht. Der Tag war grauenhaft. Die Unsicherheit, was nun passieren würde, zerfraß mich. Ich dachte, ich drehe durch. Es war schlimmer zu ertragen als alles, was folgen sollte.
In der nächsten Nacht weckten mich unglaubliche Schmerzen. Jetzt weiß ich, dass es kleine Wehen waren. Ich verbrachte fast zwei Stunden mit starken Blutungen auf der Toilette ehe ich meinen Freund weckte. Ich hatte das Gefühl, ich betrüge ihn, weil ich ihn nicht direkt mit einbezog. Aber ich muss Ängste immer erst mit mir ausmachen, ehe ich darüber spreche. Ich muss mich sortieren und einigermaßen klar im Kopf werden. Es war schrecklich, aber ich hatte zuvor einen sehr guten Artikel samt Erfahrungsbericht über „die kleine Geburt“ auf einem Hebammenblog gelesen und das gab mir Sicherheit. Ich wusste, was los ist, ich wusste für welchen Weg sich mein Körper nun entschieden hatte und ich hatte keine Angst davor, dass ich verblute. Da ich aber nicht wusste, wie lange so etwas dauern kann und mir meine Hebamme leider nicht mitgeteilt hatte, dass man sie auch in so einem Fall kontaktieren kann (wir hatten allerdings auch erst ein Kennlern-Gespräch), beschloss ich, dass das Krankenhaus nötig sei. Mein Kreislauf drohte zusammenzuklappen – nicht, weil der Blutdruck so schlecht war, sondern weil sich Angst und Panik bei mir direkt körperlich auswirken – und ich wollte nicht auf dem Beifahrersitz ohnmächtig werden, deshalb riefen wir den Krankenwagen. Im Krankenhaus dauerte alles ewig. Die Sanitäter waren verärgert, dass man mich überhaupt morgens weggeschickt hatte. Nachdem sie eine Liege für mich gefunden hatten, verabschiedeten sie sich mit den Worten „Immer weiter machen!“ Die Normalität und Zuversicht dieser Worte beruhigten mich.
Der Ultraschall ergab, dass mein Körper alles allein geregelt hatte. Die Fruchtblase war raus.
Wir warteten ewig. Es war sehr anstrengend, aber im Nachhinein muss ich sagen, wenn es ein Notfall gewesen wäre, dann hätten wir nicht warten müssen. Der Ultraschall ergab, dass mein Körper alles allein geregelt hatte. Die Fruchtblase war raus. Dennoch riet mir die Ärztin zur Ausschabung, damit mögliche Plazentaresta entfernt werden. Der Körper schafft auch dies oft alleine. Ich wollte aber nicht wochenlang warten bis alles wieder „auf Null“ ist und durch ständige Blutungen und Krämpfe daran erinnert werden. Ich wollte alles Alte von mir werfen und bin froh, dass ich diesen Weg gegangen bin.
Die Ausschabung wurde am nächsten Morgen gemacht und ich sollte solange auf Station und mich ausruhen. Mein Freund musste gehen. Das war schrecklich, ich hätte ihn so sehr an meiner Seite gebraucht. Er spricht nicht viel darüber wie es für ihn war, aber ich bin mir sicher, er wäre lieber bei mir gewesen als alleine in unsere Wohnung zurückzukehren. Ich weinte gerade als morgens die Anästhesistin zu mir kam. Sie fragte mich, warum ich denn traurig sei. „Weil ich gerade mein Kind verloren habe?!“, war meine Antwort. Offensichtlich wusste sie nicht, warum sie mich in Narkose versetzen sollte. Der Schock war groß, sie weinte fast mit. „Sie sind noch jung. 34. Ich bin schon 37. Sie sind noch jung. Das wird bald klappen“, sagte sie mir immer wieder, auch als die Narkose anfing zu wirken und wieder als ich aufwachte. Ich fragte mich, was sie schon erlebt hatte.
Ich bewundere Frauen, die die Kraft haben, das alles komplett natürlich, also ohne Krankenhaus, durchzustehen. Ich konnte das nicht. Und dieses „Mittelding“ war gut für mich. Wenn mein Körper zuvor nichts von alleine geregelt hätte und es wäre dann eine Ausschabung gemacht worden, hätte ich es wohl nicht so gut verkraftet. Zu groß wären die Zweifel, ob die Ärzt/innen lediglich was übersehen hätten oder ob das Kind sich versteckt hätte. Das hätte mich psychisch fertig gemacht.
Es ärgert mich, dass es, wie so vieles, was bedrückend oder „unschön“ ist, gesellschaftlich tabuisiert wird.
Ein Drittel aller Frauen erleben in ihren Leben mindestens eine Fehlgeburt. Viele wissen es nicht und denken, ihre Menstruation wäre nur zwei Wochen später dran. Die, die es wissen, sind immer noch 10-20 Prozent aller Schwangeren (die Zahlen schwanken beziehungsweise sind überall anders). Also eine bis zwei Frauen von 10. Viele. Wirklich viele. Und es ärgert mich, dass es, wie so vieles, was bedrückend oder „unschön“ ist, gesellschaftlich tabuisiert wird. So wie die Menstruation, die Unannehmlichkeiten des Wochenbetts oder – ganz einfach – der Tod. Verdammt, es ist normal! Es tut weh und ist unfassbar traurig, aber es ist normal! Es gibt so viele, denen es passiert, aber niemand, außer die Frauen untereinander, spricht darüber. Und keiner, derdie davon weiß, spricht Klartext. Das ärgert mich, denn man fühlt sich so allein.
Mein Partner hat mich fantastisch begleitet. Er hatte keine Angst um das Kind, sondern um mich. Denn er hatte, wie er sagt, nach so wenigen Wochen einfach noch keine Bindung. Er war traurig, dass alle Pläne, die rosarote Zukunft, einfach nicht mehr relevant waren. Er hat sich so wie ich unbändig darauf gefreut. „Wir verschieben es etwas nach hinten.“, sagt er. Ja, das denke ich auch. Aber das Nach-vorne-sehen ist natürlich härter, wenn man selber etwas im Bauch hatte, was nun fehlt. Wenn man noch ewig ein wenig nachblutet, weil sich altes Blut und sogenannte Koageln in der Gebärmutter gesammelt haben, die raus müssen. Wenn man jeden Tag damit beschäftigt ist, Slipeinlagen zu wechseln. Wenn man aufs Meer blickt und erst nach zwei Wochen rein darf, weil die Infektionsgefahr noch gegeben ist (und eine Gebärmutterinfektion ist das letzte, was man jetzt noch möchte). Wenn man wieder Kondome nutzen muss, obwohl man es nicht möchte (aus dem selben Grund). Wenn man weiter Folsäure nimmt, um das nächste Mal „so richtig vorbereitet zu sein“. Ja, das tut weh und ist scheiße. Und jede*r hat andere Wege, damit umzugehen.
Auch wenn ich meine Hebamme sympathisch fand, bin ich doch enttäuscht, dass sie mich nicht auf die Möglichkeit einer Fehlgeburt vorbereitet und mich nicht über den Rechtsanspruch einer Nachsorge auch nach Fehlgeburten informiert hat. Und auch danach wurde ich nicht weiter betreut. Handynummern von den Hebammen im Bereitschaftsdienst hatte ich noch nicht. Ich sprach am nächsten Tag auf den AB, aber wurde nicht zurückgerufen und bekam keine E-Mail, weshalb es kein „Abschlussgespräch“ gab. Ob mein Yogakurs storniert wurde, den ich im Herbst beginnen wollte, weiß ich auch nicht. Es mag sein, dass die Hebamme mich erst einmal in Ruhe lassen möchte und sich später noch meldet. Aber ich bin trotzdem enttäuscht.
Wir sind wie geplant fünf Tage nach der Ausschabung zum Polarkreis aufgebrochen. Es ist nicht so unbeschwert, wie es hätte sein sollen. Ich bin wenig belastbar sowohl körperlich als auch psychisch. Stress halte ich nur schwer aus. Und ich bin sehr ungeduldig. Aber es ist trotzdem schön. Alles hat zwei Seiten. Die Natur hier oben ist gewaltig und völlig überdimensioniert. Wir haben Sonne und Wind. Meer, Sport und Abenteuer tun uns gut. Und wir planen trotzdem, was hoffentlich bald alles mit Familie sein wird…
(Dieser Text erschien zuerst auf: Frauenseiten Bremen)
Drei Monate nach der Fehlgeburt war ich wieder schwanger. Mein Sohn wird im Mai drei Jahre alt. Ich erwarte mein zweites Kind. Die Sorge schwingt natürlich immer mit, aber auch das Vertrauen an mich selber, dass ich eine Fehlgeburt durchstehen kann.
Ich bin Janina, 34 Jahre alt und Soziologin. Ich arbeite als wissenschaftliche Begleitung in einer bilingualen Kita, bin ehrenamtliche Redakteurin für ein frauenpolitisches Online-Magazin (frauenseiten.bremen.de) und nebenberuflich mache ich Webseiten und Blogs. In meiner Freizeit gehe ich klettern und bouldern - unter der Woche in der Halle, sonst liebend gerne am Fels. Reisen, hin und wieder ein bisschen Yoga und guter Kaffee sind weitere Leidenschaften.