Mareike (32)Ärztin

Such is life

Mareike hatte keine richtige Verbindung zu ihrem Kind aufbauen können - zu ängstlich und unsicher war sie. Als sie es in der 10. Woche verlor, im Zuge einer stillen Geburt mit Tabletten, war sie sich auf einmal ganz sicher, wie sehr sie dieses Kind liebt.

Die Schwangerschaft war völlig ungeplant, aber vielleicht doch ein bisschen gewünscht, so wie das eben sein kann, wenn man natürlich verhütet. Eigentlich kommt nur ein Tag in Frage, an dem es passiert sein muss. Dieser Tag war kurz nach meiner Facharztprüfung und mein Zyklus muss sich wegen des Prüfungsstress etwas verschoben haben. Natürlich nahm ich keine Folsäure ein und genoss nach der Prüfung endlich wieder mein Leben im Sommer, einige Abende und Partys mit nicht unbeachtlichen Mengen an Alkohol.

Zwei Tage nach dem Ausbleiben meiner Regel wunderte ich mich, dass meine Brüste weiterhin spannten, wie ich es von der prämenstruellen Phase kannte. Der erste Schwangerschaftstest zeigte einen zaghaften, kaum erkennbaren Streifen. Ein zweiter Test ein eindeutiges Plus. Mein Freund freute sich und ich war etwas verhalten und sagte Sachen wie „Es ist ja noch viel zu früh, vielleicht ist es auch eine Eileiterschwangerschaft oder verschwindet direkt wieder..“. Zehn Tage später saß ich weinend bei der Frauenärztin, weil man nur eine Fruchthöhle und kein Kind sah - laut Zyklus-App sollte ich schon ein paar Tage schwanger sein und das Kind sichtbar. Meine Frauenärztin beruhigte mich, alles sei normal und ich solle in 2 Wochen wiederkommen.

Mein Freund war extra aus dem Urlaub zurückgekommen für den Termin, wo wir zum ersten Mal das kleine Kind mit dem Herzschlag sehen durften. Er freute sich - und ich empfand wieder nur verhaltene Freude. Eine Woche später bekam ich ganz mini-leichte Schmierblutungen und rief meine Frauenärztin an, auch dies sei normal, wenn es nicht stärker würde und sich solle mir keine Sorgen machen. Die Blutung verschwand schnell. Erleichterung. Immer wieder prüfte ich, ob meine Brüste noch spannten, was sie konstant taten. Bis ich eines Nachts aufwachte und merkte: Ich spüre es nicht mehr, das Kind ist weg, ich bin nicht mehr schwanger. Meine Brüste tun nicht mehr weh.

Die Sprechstundenhilfe meiner neuen Frauenärztin konnte mir leider keinen Termin an dem Tag geben, aber empfahl mir, meine Sorgen ernst zu nehmen und einen kurzen Check-up im Krankenhaus zu machen, da ich am Folgetag in den Urlaub fliegen wollte. Der Ultraschall im Krankenhaus zeigte mein Kind mit lebendigem Herzschlag, „ein paar Tage kleiner als geschätzt, aber alles völlig in Ordnung. Wir sehen uns dann zur Geburt wieder“, sagte die freundliche Ärztin in der Ambulanz. Es war mir trotzdem etwas peinlich, quasi so unnötig, nur wegen „einem schlechten Gefühl“ gekommen zu sein, wobei mir das Gefühl gegeben wurde, dass dies völlig in Ordnung war. Zu dem Zeitpunkt war ich erst in der 8. Schwangerschaftswoche. Erleichtert gab ich meinem Freund und meiner Mutter Bescheid. Meine Mutter schrieb „Ich habe das Kind schon jetzt so lieb“. Das rührte mich.

Am nächsten Tag flog ich zu Freunden in den Urlaub. Ich war die ganze Schwangerschaft schon sehr erschöpft und müde, aber nun wurde die Erschöpfung immer schlimmer. Ich fühlte mich ein bisschen krank, schlapp und erkältet, konnte die ganze Urlaubswoche nicht richtig genießen, weil ich mir Sorgen machte. Ich fühlte mich nicht gut. Die gesamte Schwangerschaft, jeder einzelne Tag war geprägt von großer Angst, dass etwas nicht stimmen könnte. Ich konnte die Freude nie richtig zulassen, hatte das Gefühl mich nicht so recht fallen lassen zu dürfen aus Angst, dass etwas nicht stimmen könnte.

Und dieses Gefühl, dass etwas nicht stimmte, war die ganze Zeit da. Irgendwie konnte ich mich nicht richtig verbinden. Dieses Gefühl, ständig für den Erhalt der Schwangerschaft kämpfen zu müssen. Aber wie?

Ab der 10. Woche fing ich langsam an, mich ein bisschen zu entspannen und mir gut zuzureden. Nun war ich schon so weit gekommen. Natürlich gab es schon zaghafte Vorstellungen und Zukunftsgedanken wie es sein würde. Ich fing an, mir Gedanken um meine neue Arbeitsstelle zu machen, die ich in der 28. Schwangerschaftswoche antreten sollte. Drei Tage vor dem Ultraschalltermin träumte ich von einer rosa Blutung und wachte mit klopfendem Herzen auf - direkt erleichtert, als ich kein Blut im Slip finden konnte.

Im heiß ersehnten Ultraschall dann langes Suchen. Stille. Das Herz schlägt nicht. Der Boden bricht weg. Ich bleibe gefasst. Es kommt ein „Tut mir leid“ und direkt im Anschluss die Aufklärung über die drei Möglichkeiten: Abwarten, Ausschabung oder Tabletten, mit der klaren Empfehlung für die Tabletten. Ich beginne, zu weinen und bekomme ein Taschentuch. Die Unterhaltung geht sachlich weiter; ich entscheide mich für die Tabletten (Cytotec) und werde darüber aufgeklärt, wie das abläuft. Ich sage, dass mein Freund morgen eigentlich auf eine Geschäftsreise muss und die Frauenärztin sagt, dass irgendjemand bei mir sein sollte, 24 h nach der Tabletteneinnahme, falls ich zu stark blute und ins Krankenhaus muss.

Ich verlasse weinend die Praxis und rufe meine Mutter an. Die weint mit. Mein Freund arbeitet noch und wir telefonieren erst einige Stunden später. Ich sage meine Geburtstagsfeier für den folgenden Tag ab und mein Freund seine Geschäftsreise.

An meinem 32. Geburtstag verabschieden wir uns von unserem Kind, ich schreibe einen Brief. Auch mein Freund weint. Ich habe ihn lang nicht mehr weinen sehen, seit dem Tod seiner Mutter nicht mehr. Einige Stunden nach der Tabletteneinnahme und starken Schmerzen, wie Wehen, kommt mein Kind auf die Welt.

„Mein Kind“, sage ich unter Tränen und schaue es fasziniert an. Alle Finger und Zehen dran, man sieht das Herz, die Leber, die Wirbelkörper und Rippen; alles ganz zart und noch halb durchsichtig. Ich lege es in eine Blüte und die Blüte in eine Muschel und zünde Kerzen an. Mein Freund möchte es lieber nicht sehen. In dem Moment als das Kind meinen Körper verließ spürte ich, dass sich mein Körper endlich wieder normal und frei anfühlte. Endlich hatte ich wieder meine normale Energie.

Die folgenden Tage und Momente waren zwar voller Trauer und Schmerz, aber auch von einem unbeschreiblichen Gefühl von Dankbarkeit gefüllt. Dankbarkeit für meinen tollen Freund, der mich fürsorglich umsorgte und tröstete und für meine tollen Freunde und meine Familie. Dankbarkeit für mein Leben und gesund zu sein. Alles kam mir plötzlich so kostbar vor.

Und vor allem empfand ich plötzlich so viel Liebe in mir, unendliche Liebe für mein Kind, das nun nicht mehr da war. Schade, dachte ich, dass ich nicht schon zuvor diese große Liebe zugelassen habe. Sie war ja die ganze Zeit schon da. Ob das Wesen länger bleibt oder früher geht - es hat doch für seine Zeit auf der Erde immer gleich viel Liebe verdient. Es sollte nicht weniger Liebe im Bauch erfahren, nur aus Angst, dass es wieder verschwinden könnte. Ich hoffe, dass ich das für meine nächste Schwangerschaft mitnehmen kann. Wir begruben das Kind im Grünen, unter einem schönen Baum, der auf meiner Jogging Route liegt.

Auf diese eher zwar traurigen, aber „segenserfüllten“ ersten Tage nach der Geburt folgten Wochen von noch mehr Trauer, Schmerz, Tränen. Das ist auch gut so. Der Schmerz sitzt so tief und die Trauer muss raus. Es war viel schmerzhafter für mich, als ich mir vorgestellt habe. Aber schlimmer waren und sind die Ängste und Gedankenspiralen bezüglich der nächsten Schwangerschaft. Mein Wunsch ist nun groß und mir wird klar, dass er bereits schon vorher da war und ich ihn nicht richtig zugelassen habe. Gefühlt jede Woche bekam eine andere Freundin ein Kind oder verkündete eine neue Schwangerschaft. Auch das tat weh. Eigentlich kenne ich Neid nicht so von mir. Ich fühlte mich ziemlich allein, auch wenn ich mit allen Freunden offen über das Thema sprach und alle ganz lieb waren. Ihr Leben geht trotzdem normal weiter und den Schmerz kann einem keiner nehmen. Und niemand, der das je erlebt hat, wird es nachvollziehen können. Und auch eine Fehlgeburt ist sicher für jeden anders.

Mittlerweile sind seit der Geburt drei Monate vergangen und erst seit ca. eine Woche ist „die Sache“ „körperlich abgeschlossen“. Ein Planzentarest hatte etwas länger Zeit gebraucht, um sich zu lösen. Auch das hat mich wahnsinnig belastet, auch wenn es im Nachhinein komisch klingt. Ich hatte einfach das Gefühl „es geht nie vorbei“. Bei der Hydrosonografie in der Reproduktionsmedizin der Uniklinik fiel mir ein Stein vom Herzen, als ich erfuhr, dass der Rest nun weg ist und kein Eingriff (der nächste Schritt wäre eine Office-Hysteroskopie gewesen) notwendig ist. Meiner (absolut nicht alternativmedizinischen) Frauenärztin bin ich nun auf eine Art sehr dankbar für die stoische und progressive Beratung, von einer Ausschabung abzusehen, Cytotec zu nehmen und etwas Zeit abzuwarten bis der Körper den Plazentarest selbst lösen kann. So konnte ich Abschied von dem Kind nehmen und habe mehr Vertrauen in meinen Körper gewonnen.

Fachlich fühle ich mich also super betreut. Jedoch hat mich meine Frauenärztin nicht ein Mal ehrlich gefragt, wie es mir geht und auf eine Antwort gewartet. Ihre Patienten sind im 15- Minuten-Abstand durchgetaktet. Da ist keine Zeit für ernsthaft gemeinte tröstende Worte.

Geholfen haben mir abgesehen von Freund, Familie und Freunden zwei Sitzungen bei einer Hebamme, mit der ich über den Verlust sprechen konnte und die Kraniosakraltherapie gemacht hat. Und gut auf mich zu achten, Sport zu machen. Und immer wieder offen darüber zu reden, auch wenn Tränen fließen.

Die Fehlgeburt hat meine Prioritäten im Leben etwas geändert. Arbeit kommt mir gerade nicht mehr so wichtig vor. Unsere mittlerweile 12-jährige Beziehung ist sehr an dem Ereignis gewachsen.

Das Leben hat mich in den letzten Monaten also ganz schön viel gelehrt. Alles kommt wie es kommt, wir haben keinen Einfluss darauf. Man kann nur lernen die Dinge anzunehmen und mit seinen Emotionen umzugehen, was nicht immer so einfach ist. Vor allem Liebe und Mitgefühl für sich selbst ist glaube ich wichtig. Und den Schmerz zuzulassen, der in dem Fall so existentiell ist. Es wird sicher einfacher mit der Zeit.

Ich wünsche allen Frauen, die Ähnliches erlebt haben für die folgende Zeit ganz viel Kraft, Vertrauen, Aufrichtigkeit, Freude und Liebe!

Das Ende vom Anfang – Mareike
Mareike (32)Ärztin

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