4 Fehlgeburten, ein Regenbogenkind
Sarah hatte ganze vier Fehlgeburten. Das tut weh. Immer wieder. Und das macht etwas mit einem. Auch mit einer, die eigentlich eine Frohnatur ist. Aber: Am Ende kam Anna!
"Du und ich - und auch sonst keiner - kann so hart zuschlagen wie das Leben! Aber der Punkt ist nicht der, wie hart einer zuschlagen kann... Es zählt bloß, wie viele Schläge man einstecken kann, und ob man trotzdem weitermacht."
Unsere Ehe nach fünf Jahren Beziehung 2014 begann mit einem geplanten positiven Schwangerschaftstest. So schnell, so einfach - so hatte ich das nicht erwartet. Der Beginn der ersten Schwangerschaft verlief euphorisch. Ich schmiedete Zukunftspläne, malte mir das Kinderzimmer in Gedanken aus, wir waren glückserfüllt und genossen diese unbekümmerten Wochen. In der 8. Woche beim Kontrolltermin nach leichten Blutungen sah man keine Fruchthöhle, der HCG sank kontinuierlich und ich weinte, weil doch bei anderen immer alles gut ging. Der Gedanke, dass in unserem Freundeskreis sowas noch nie passiert war, oder wir es zumindest nicht wussten, machte mich mürbe.
Aber einmal ist keinmal und nach den Worten meiner Frauenärztin, passiert sowas so oft und ist fast schon völlig normal. Der Körper muss üben. Ich bekam Medikamente, die in wochenlangen Blutungen die Reste dieses Kindes aus mir trieben.
Wir probierten es wieder. NOCH waren wir entspannt und es klappte, wiedermal völlig überraschend, schnell. Ich war vorsichtig. Übervorsichtig. Gönnte mir Ruhe, nicht zu viel Stress, hörte auf meinen Körper.
Nach 12 Wochen erzählten wir meinen Eltern von diesem Wunder und waren überzeugt, dass dies unser Happy End ist nach der ersten Fehlgeburt.
Als ich dann auf Arbeit in einem wichtigen Meeting saß und mich Bauchschmerzen auf die Toilette trieben, wählte ich danach die Nummer meiner Mum und fragte, was ich tun soll. Ich hatte nach den leichten Blutungen Angst, dass etwas mit dem Baby ist. Ich fuhr in die Klinik und als die Schwester am Empfang die Gynäkologin auf der Station anrief, hörte ich sie sagen: "Wahrscheinlich Abort 12. Woche - kannst Du kommen?" Sie hatte Recht. Die Ärztin erklärte mir, dass das Kind lediglich 8 cm groß ist und es sicherlich schon 2 Wochen tot sei. Mein Körper hatte nun erst damit begonnen, es abzustoßen. Nachdem ich meinen Mann anrief und ihm sagte, dass er kommen solle, weil das Kind tot ist, saß er 15 min später neben mir in der Notaufnahme. Es sei keine Ausnahme, hörte ich die Ärztin sagen- Untersuchungen zu den Gründen, werden aber erst nach dem 5. oder 6. mal angeschoben. 5 oder 6 mal? Wie oft soll ich das ertragen? Mein Mann vereinbarte einen OP Termin für den darauffolgenden Tag. Ich ekelte mich davor und wollte, dass dieses tote Kind aus mir verschwindet.
Die Zeit darauf war hart. Alle wussten, was passiert war, alle schwiegen, niemand sprach mit mir oder fragte, wie es mir geht.
Ich hätte wohl ebenso agiert. Die Überreste unserer größten Hoffnung wurden vom Sternenkinder e.V. in einer Zeremonie gemeinsam mit anderen Kindern beigesetzt. Wer hätte gedacht, dass dieses Grab ein Ort der Zuflucht für mich wird. Wer hätte da gedacht, dass ich irgendwann an jedem Weihnachtsfest 4 Kerzen dort aufstelle?
Der Sommer 2015 stand vor der Tür und nach vielen Wochen der Tränen und zerbrochener Hoffnung, genossen wir die Zweisamkeit. Ich nahm das Geschehene an und sprach mir gut zu, dass alles seinen Grund hat und die Natur für uns entschieden hat.
Meine Ärztin kümmerte sich um weitere Untersuchungen. Ein Hormonstatus wurde gemacht und zeigte, dass alles in bester Ordnung sei. Wir gingen zur genetischen Beratung und schlossen aus, dass Erbkrankheiten existieren, die ein gesundes Kind nicht möglich machten. Mein Mann gab ein Spermiogramm ab und bestätigte damit, dass auch das vollkommen ausreichend war. Wir hatten immer noch keinen Grund und somit keinerlei Chance, irgendetwas zu verändern, was uns dabei verhilft, endlich Eltern zu werden.
Irgendetwas war in meinem Körper los, was immer wieder verhinderte, dass diese Kinder bei uns blieben.
Ende des Jahres wurde ich erneut schwanger und nach acht Wochen, in welchen ich verhindert hatte, mich zu freuen, und mich darauf einzulassen, sagte meine Frauenärztin, dass das Herz nicht schlägt und mein Körper in den nächsten Tagen beginnen wird, auch dieses Kind abzustoßen. Medikamente halfen mir dabei, das 3. Kind vollständig zu verlieren. Mein Mantra in dieser Zeit war: Wenn ich versuche, mich nicht darauf zu freuen, ist es sicher auch nicht so schlimm. Aber dem war nicht so. Die Hormone schlugen mir hart ins Gesicht und hielten mir vor Augen, dass ich SO nie ein Kind bekommen werde. Wir klappten langsam unser Buch zu, verbannten Kindergedanken aus unseren Köpfen und nahmen an, was wir hatten. Wir hatten uns - das war doch genug!
Ich zog Arbeit an mich heran, konzentrierte mich auf uns. Wenn nur nicht ringsherum diese vielen Schwangeren wären. Ich entwickelte eine Abneigung und Missgunst ihnen gegenüber.
Wenn wir wieder einmal gesagt bekamen, dass Freunde Nachwuchs erwarteten, machte ich keinen Hehl daraus, dass ich mich wirklich nicht freuen konnte.
Ich brachte kein "Glückwunsch" oder "Oh, wie toll" über die Lippen und sorgte so dafür, dass mehr und mehr Menschen uns den Rücken kehrten. Das belastete auch meinen Mann, hatte er sich doch nie wirklich Kinder gewünscht. Aber für meinen Wunsch nahm er das alles in Kauf - er stand zu mir.
In der Zwischenzeit beschäftigte ich mich wieder mit Zykluszählen und Ovulationstests, nahm Vitamine und Präparate ein. Ich wollte dieses Kind! Meine Arbeit zahlte sich aus und überraschend hielt ich Ende 2016 einen positiven Schwangerschaftstest in der Hand. Die ersten bangen Wochen vergingen wie im Flug, mein Bauch wuchs und mein Arbeitgeber stand mir zu, mich zuhause in Ruhe auf die Schwangerschaft zu konzentrieren.
Ich lag fast 24h am Tag, stieg keine Treppen, machte keinen Sport, verhinderte alles, was ansatzweise hätte schädlich sein können. Als ich am 31.12.2016 früh aufwachte, wusste ich, dass das Kind tot war. Ich spürte es und ließ es mir am 02.01.2017 bei meiner Ärztin bestätigen. Während ich auf dem Behandlungsstuhl lag, fragte ich mich bereits, ob ich das alles nochmal schaffen würde.
Die Jahre hatten mich kaputt gemacht.
Das Herz schlug nicht mehr und der Blick auf das Ultraschallgerät zeigte lediglich einen kleinen, zusammen gekringelten Embryo. 7 cm groß. Komisch, wenn alles ist wie immer, aber dieses zaghafte Flimmern des Herzchens einfach nicht mehr da ist. Ich schrieb meinem Mann, dass etwas nicht stimmte, ich aber in 2 Tagen zur Kontrolle müsse, danach sehe man weiter. Ich wollte ihn spüren lassen, dass weiterhin alles gut ist. Ich fand mich im Auto wieder. Ich hatte es bis dahin geschafft, meine Tränen zurück zu halten. Nun schlug ich auf das Lenkrad ein und schrie: Warum ich? Warum schon wieder? Warum jetzt?
Als ich daheim über dem kleinen Glücksstorch im Flur zusammen brach, betrat mein Mann die Wohnung, trug mich ins Wohnzimmer und versprach mir, dass alles wieder gut wird. Auch seine Welt war ins Wanken geraten. Wir schlossen die Rollos und stellten die Handys aus. Wir trauerten um unser 4. Kind. Als ich 2 Tage später vom Stuhl bei meiner Ärztin stieg um mich anzuziehen, liefen mir bereits dicke rote Tropfen am Bein hinunter - das war es also nun wirklich. Ich schrieb meinem Mann: "Es ist tot. Ich muss ins Krankenhaus" - für emotionale Töne fehlten mir schlichtweg die Worte. Dann bekam ich Wehenmittel, Beruhigungsspritzen, und kaum war ich angekommen, hatte ich eines dieser furchtbaren Nachthemden an und sah jede Menge Leuchtstoffröhren an der Decke vorbei rauschen, auf dem Weg in den OP. Als ich aus der Narkose erwachte, fühlte ich mich überfahren, erniedrigt, beraubt und gebrochen. Mein Mann kam mich abholen und als ich ihn so sah, schämte ich mich für den Wunsch, es erneut mit einem Baby zu probieren. Ich hatte ihn wieder so verletzt. Wie konnte ich dem Menschen, den ich liebe, nur so weh tun?
Die Zeremonie des Sternenkinder e.V. fand erneut statt. Wir standen am Grab unserer Kinder, stellten Kerzen auf und weinten.
Was hatten wir in den Jahren erlitten und wie viele Hoffnungen wurden so derart schmerzhaft zerstört? Ich war kaputt und müde. Von dem Kinderwunsch, von den Schwangerschaften, von den Kindern im Freundeskreis und den Menschen, die wussten was passiert war und die verstummten, wenn ich den Raum betrat.
Ich war immer nur die mit den toten Kindern.
Ich stieß die genetische Beratung an, ließ erneut einen Bluttest und Hormonstatus machen, initiierte eine Bauch- und Gebärmutterspiegelung und vergrub mich nächtelang in Foren und Blogs. Ein minimal auffälliger Blutwert, der dafür sogt, dass das Kind nicht richtig versorgt wird. Eine Art Thrombose, die unregelmäßig und unmerklich auftritt. Beeinflussbar und verhinderbar lediglich durch Blutverdünner.
Mit diesem Wissen starteten wir in den Hausbau, wir planten weder Kinderzimmer, noch kindersichere Details im Haus. Ein Häuschen für uns zwei mit viel Platz für unsere Hobbys. Als sich 8 Monate später nach extremen Haarausfall und "komischen" Anzeichen 2 Striche auf dem Teststreifen zeigten, war ich völlig unvorbereitet und geschockt. Einige Stunden später saß ich in der Klinik und bestand darauf, nicht ohne Blutverdünner das Haus zu verlassen. Den letzten Strohhalm, an welchen ich mich klammerte, wollte ich nutzen. Die Ärztin gratulierte mir zuerst zum Geburtstag und danach zur Schwangerschaft.
Als ich wieder zuhause war, schrieb ich dennoch in meine Handynotizen, was ich mit ins Krankenhaus nehmen muss, wenn das Kind wieder tot ist. Es würde so kommen, das war sicher.
10 Monate später, nach einer Bilderbuchschwangerschaft, 266 Spritzen Blutverdünner, einer 1,5h Geburt und mit meiner großen Liebe an der Hand, hielten wir unsere gesunde Tochter Anna 07:37 Uhr im Arm. Sie ist unsere Definition von Glück und Perfektion. Ein gesundes Kind für uns zwei. Es verschlägt mir immer noch die Sprache. Danke.
Dass Anna bei uns ist, verdanken wir vor allem unserer Hoffnung, die nie weg war, in den Prioritäten lediglich etwas nach hinten verschoben wurde. Der Kampf hat sich gelohnt. Mit Anna sind wir mit unserem Leben im Reinen, nicht mehr böse, nicht mehr trauernd. Wir verbringen viel Zeit mit unserem neuen Nachbarn hier bei unserem Häuschen. Volksfeststimmung. Kaum aus dem Krankenhaus liefen wir voller Endorphine eine große Runde mit dem Kinderwagen. Unsere Nachbarn kamen allesamt aus ihren Häusern und begrüßten dieses kleine Wesen. Wir haben alles richtig gemacht. Anna ist perfekt.
Das Ende des Weges ist perfekt.
Ich bin eigentlich eine Frohnatur, bin es heute und war es auch damals. Beruflich bin ich Informatikerin und war beruflich viel unterwegs. Als Frau in einer Männerdomäne ist es oft nicht leicht, aber es war zu jeder Zeit die richtige Entscheidung.