Amelie (37)Communications Managerin und Focusing-Beraterin

Drei Fehlgeburten hintereinander

Amelie schreibt sehr berührend darüber, wie es sich anfühlt, drei Fehlgeburten hintereinander zu haben. Sie fand auch dank einer Therapeutin Frieden mit ihren Erfahrungen.

Ich beginne mal, wie ich es mir vorstelle, wie ich in einer Selbsthilfegruppe begonnen hätte: Mein Name ist Amelie, ich bin 37 Jahre alt und ich habe drei Kinder binnen eines Jahres verloren. Dass ich das so sagen kann, verdanke ich auch einem Gespräch mit einer Therapeutin. Selbst jetzt, drei Monate nach der letzten Fehlgeburt, kann ich die Wörter immer noch nicht richtig verstehen. Doch sie haben eine lebensverändernde Bedeutung für meinen Körper und meine Seele.

Alle drei Schwangerschaften waren frühe, spontane Fehlgeburten, alle in etwa in Woche 7 oder 8. Ich sage dennoch bewusst Kinder, weil ich jedes bereits als ein Lebewesen gefühlt habe. Jedes Kind hatte bereits einen fühlbaren Charakter, hat mir andere Gefühle vermittelt.

Ich konnte spüren, dass jemand entsteht - und dann wieder geht. Das erste war aufgeregt und ungeduldig, aber voller Liebe. Das zweite war so voll mit Freude und Vertrauen und mit großem Willen. Das dritte war ganz autark und eigenständig. Und dann kam jedes Mal das Ende. Das Blut. Die Krämpfe. Die Schmerzen. Die Gewissheit: Ich verliere es, ich verliere dieses Leben. Ich verliere einen Teil meines Lebens. Schon wieder.

Mein Körper wurde gut darin, den Verlust aufzuarbeiten. Ich brauchte keine Ausschabungen, jedes Mal regulierte sich alles von selbst, wie im Lehrbuch. Sowieso ist bei mir alles so, wie es sein sollte, laut Lehrbuch. Bei meinem Mann auch. Niemand konnte uns sagen, was denn nun falsch war. Also war meine Antwort darauf: Ich. Ich bin falsch. Ich habe etwas falsch gemacht. Falsch gelebt, falsch gesessen. falsch geatmet. Ich hab es nicht genug gewollt. Es ist meine Schuld. Dieses Gefühl geht nicht einfach weg. Es bleibt. Es kriecht immer wieder hoch, in unachtsamen Momenten. Wie ein grauer, kalter Aal, der sich ins Bewusstsein schlängelt. Es ist meine Schuld. Ich habe es nicht verdient. Ich darf nicht.

Um mich herum wurden Bekannte, Freundinnen, Kolleginnen schwanger und ich wollte mich für sie freuen, doch mein Körper konnte sich nur an den Schmerz erinnern. An den Verlust. An das Verlieren. Und so zog ich mich zurück, um nicht immer wieder damit konfrontiert zu werden. Und ich weinte, viel. Als Katharsis, aber auch, weil ich überwältigt war von dem, was mir passiert ist. Dreimal? Was soll ich daraus lernen? Was soll mir das an Erfahrung bringen? Mein Mann sagte: Damit wir es nachher umso mehr genießen können. Doch das Schlimme daran ist: Ich glaube nicht mehr an ein „Nachher“. Weil das einfacher ist, als die Angst vor einem erneuten Verlust anzunehmen.

Statistisch gesehen ist die Wahrscheinlichkeit, schwanger zu werden und zu bleiben für mich jetzt höher als eine erneute Fehlgeburt. Tatsächlich beruhigt mich das. Ansonsten haben mir Statistiken nicht viel geholfen. Beim ersten Mal war es statistisch gesehen noch „normal“, beim zweiten traurig, aber immer noch nicht beunruhigend, beim dritten habituell und damit auch medizinisch-statistisch relevant für weitere Untersuchungen. Es ist bitter, als Mensch in solche Bewertungen gepresst zu werden, die letztlich nichts erklären. Es sind Zahlen, die versuchen, Zusammenhänge herzustellen und damit das Schicksal jeder einzelnen Frau erklärbar zu machen. Doch diese Zahlen geben keine Antwort auf das Warum, und schon gar nicht heilen sie die emotionalen Wunden. Wirklich geholfen, alles zu verarbeiten, hat mein Urvertrauen in mich selbst und ganz viel Achtsamkeit und Zuneigung im Umgang mit meinem hadernden, heilenden Körper und meiner trauernden Seele. Yoga, Meditation, Ruhe, Weinen, Zeit. Das hat geholfen.

Ich habe viel mit mir alleine ausgemacht, ich wollte niemanden belasten. Und es haben auch nicht viele davon gewusst. Wie erzählt man so was? Welche Begriffe soll man verwenden, um zu beschreiben, wie sich der Verlust einer befruchteten Zelle so riesig anfühlen kann? Wie beginnt man das Gespräch? Hallo alle zusammen, wie geht es euch? Ich hatte gestern die nächste Fehlgeburt. Was macht der Job? Alles unverändert?

Die Scham war zu groß. Weil ich mich verantwortlich fühlte. Als nicht-funktionierende Frau. Natürlich ist das ein gesellschaftliches Bild, eine Erwartungshaltung, die ich in diesem Moment nicht erfüllen konnte. Damit umzugehen war an manchen Tagen unmöglich. Wie gelähmt lag ich dann im Bett und habe mich mit belanglosen Dingen beschäftigt, um dieses drückende, erdrückende Gefühl zu ertragen.

Für meinen Partner war das mindestens genau so schwierig, daneben zu stehen und nichts tun zu können außer da sein. Dann habe ich das Gespräch mit einer Therapeutin gesucht, die sich auf Frauen mit Kinderwunsch spezialisiert hat. Sie hat mich sehr bestärkt in dem, was ich für mich mache und wie ich für mich sorge. Diese Rückversicherung war erlösend. Zu ihr habe ich gesagt: „Es ist, als ob mein Körper üben muss, um erst alles zu verstehen und dann richtig zu machen.“ Daraufhin sagte sie: „Und was ist, wenn die Kinder das auch machen? Wenn sie auch üben, für Sie richtig zu sein? Sie machen das für Sie.“ Und das hat Klick gemacht bei mir.

Auf einmal gehörten die Kinder zu mir und gleichzeitig war ich nicht mehr verantwortlich, dass sie wieder gegangen sind. Es mag komisch klingen, aber irgendwie war es ihre Entscheidung, zu gehen. Und ich hatte alles getan, was ich konnte. Ich hatte alles richtig gemacht. Und ich musste auch nicht noch mehr machen. Nicht auf alles achten, was ich tue oder lasse. Nicht mehr nach Terminkalender miteinander schlafen und dadurch den Genuss der Zweisamkeit verlieren. Nicht noch mehr Tees trinken oder Behandlungen. Es war genug. Ich war genug. Ich bin genug.

Allmählich finde ich Frieden mit der Erfahrung. Die Wunden werden nicht verheilen, ich werde es nie vergessen. Aber ich kann es als einen Teil von mir annehmen und den Schmerz nutzen, um mir selbst und anderen gegenüber gütiger zu sein. Ich vermeide immer noch den Kontakt mit schwangeren Freundinnen und Bekannten. Das schaffe ich noch nicht. Aber wir geben noch nicht auf.

Das Ende vom Anfang – Amelie
Amelie (37)Communications Managerin und Focusing-Beraterin

Ich arbeite als Communications Managerin und bin freiberufliche Yogalehrerin und Persönliche Beraterin. Früher habe ich Kinder- und Baby-Yoga unterrichtet, aber das traue ich mir gerade nicht mehr zu. Dafür singe und zeichne ich wieder mehr und nutze das als Form der Verarbeitung und Verbindung mit anderen.

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Kein Happy End nach sechs Fehlgeburten

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