Laura M (31)Office Manager

Warum nur ich?

Laura erfuhr in der 14. Woche bei der Nackenfaltenmessung, dass sie einen Missed Abort hat. Mittlerweile ist sie Mutter und möchte Frauen ermutigen, über ihre Fehlgeburten zu sprechen.

Warum nur hatte ich eine Fehlgeburt? Das war die eine Frage. Die Frage, die mir tage-, wochenlang, nicht aus dem Kopf ging. Bis jetzt nicht und doch halte ich in diesen Tagen meine acht Monate alte Tochter in meinem Arm. Glück, pures Glück. Für mich. Aber es geht nicht allen Frauen so, leider. Und warum wird trotz dieses großen Themas für viele Frauen nicht mehr darüber gesprochen? Das Schicksal trifft so viele Frauen und trotzdem schweigen wir meist, warum?

Im September 2018 heirateten mein Mann und ich, standesamtlich und dann mit einer freien Trauung. Unsere Familie, unsere Freunde, alle waren sie dabei und es war ein rauschendes Fest. Da war meine Welt noch in Ordnung. Zwar war der Wunsch, schwanger zu werden, schon vor der Hochzeit da, aber als ich im Dezember 2017 den Heiratsantrag bekommen habe, war für mich klar, dass ich nicht vor der Hochzeit schwanger werden möchte. Ich wollte gerne feiern und zwar richtig und das hätte ich, ganz für mich gesprochen, nicht gekonnt, wäre ich schwanger gewesen. Neben den ganzen Hochzeitsthemen wollte ich mich nicht auch noch damit auseinandersetzen. Denn es kann irgendwann zu purem Druck werden, für einen selber, für die Beziehung, für den Mann. So viel hatte ich schon von anderen Frauen gehört, die sich vorher mit dem Thema auseinander gesetzt haben und wo es nicht gleich geklappt hat.

Was soll ich sagen, ein paar Tage nach der Hochzeit hat es dann geklappt, ich wurde schwanger. Ein bisschen Morgenübelkeit und das soll es dann für den Anfang auch schon gewesen sein. Traumhaft.
Zwischen Weihnachten und Silvester 2018 wollten mein Mann und ich die Nackenfaltenmessung in einer Praxis machen lassen. Ich war in der 14. Schwangerschaftswoche. Wäre es nach meinem Mann gegangen, hätte er zu diesem Termin nicht mal mit kommen müssen − es wäre ja selbstverständlich alles in Ordnung.

Mit dieser Einstellung saßen wir also im Behandlungsraum, als mich die Ärztin drei bis vier Minuten nach dem Start der Untersuchung bat, mich wieder aufrecht hinzusetzen. In diesem Moment spürte ich ganz tief in mir, dass etwas nicht stimmt. Es täte ihr leid, aber das Herz unseres Babys hat laut Messung in der 11. Schwangerschaftswoche aufgehört zu schlagen. Nach ein paar Hinweisen zur weiteren Vorgehensweise verließen wir tränenüberströmt die Praxis - mit einer Überweisung für die Ausschabung in einer Frauenklinik zwei Tage später in der Hand.

Selbstverständlichkeit ist nie gut, nie. Ich weiß es noch immer, es war ein Mittwoch, ich werde diesen Tag nie vergessen. Ich fragte mich, wie kann es sein, dass ich nicht merke, dass das Baby in mir nicht mehr weiterlebt? Ich hatte keinerlei Anzeichen, keine Schmerzen, keine Blutung, nichts, rein gar nichts. Für mich nicht zu verstehen, aber die Worte der Ärztin waren eindeutig.

Am Freitagmorgen fuhren wir dann in eine Frauenklinik in der Hamburger Innenstadt, keine Ahnung, was uns dort erwartete. Mein Termin war um 10 Uhr und es war schrecklich, in dem Wartezimmer auszuharren. Paare, denen das gleiche Leid wie uns zugestoßen ist: Man musste es nicht einmal sagen, ein Blick in das Gesicht der Frauen reichte, um zu wissen: Sie fühlen gerade genau das gleiche wie ich − pure Hoffnungslosigkeit. Minderjährige Mädchen, begleitet von Ihren Eltern: Vielleicht ein gewollter Schwangerschaftsabbruch? Wer weiß es schon.

Nach einer gefühlten Ewigkeit wurde mein Name aufgerufen, und am liebsten wäre ich einfach nur zur Tür wieder rausgegangen. Aber das ging nicht.

Eine Ärztin und eine Anästhesistin klärten uns unabhängig voneinander auf. Die Ausschabung wird unter Vollnarkose durchgeführt. Anders würde man das, was dort gemacht wird, wohl auch nicht aushalten. Ich würde starke Nachblutungen haben und solle auf keinen Fall Tampons benutzen, nur dicke Binden. Meinem Mann wurde gesagt, dass er nicht mit in den OP-Bereich darf und mich in rund 2h wieder abholen könnte. Er hielt es nicht aus, die Zeit während meiner OP im Wartezimmer zu sitzen. Er gab mir einen Kuss, sagte mir, dass ich das schaffen würde und er mich liebt.

Ab diesem Moment musste ich also alleine durch diesen Kampf, Ehepaar hin oder her. Ich legte alle meine Kleidungsstücke, Schmuck und Wertsachen in einen Spind und zog mir das OP-Hemd an. Die Schritte durch die Tür zu dem OP kamen mir endlos vor, auch wenn es nur ein paar Meter waren und ich hoffte inständig, dass es doch bitte bald vorbei sei und ich wieder aufwache.

Auch jetzt, Monate später, schweben Fragen hin und wieder in meinem Kopf: Wofür war es gut? War es für etwas gut? Sind mein Mann und ich uns dadurch noch näher gekommen? Geht das überhaupt? Oder entzweit man sich vielleicht eher?

In der ganzen Trauer geht man schnell seinen eigenen Weg. Jeder Mensch verarbeitet eine solch emotionale Ausnahmesituation anders. Ich für meinen Teil würde sagen, dass wir die Fehlgeburt als Paar recht gut verarbeitet haben. Wir sind aber auch in den meisten Situationen recht stark aufgestellt und stecken schwierige emotionale Situationen "gut weg“. Kann man das so sagen oder ist das schon Verdrängung? Ich kann es nicht beantworten, kann sein.

Mein Mann und ich sind zwei Tage nach der Ausschabung wie geplant zu Freunden zum Silvesterabend gegangen. Wir haben uns vorher die Frage gestellt, ob es nicht besser wäre, zu Hause zu bleiben. Aber wir für uns haben entschieden, dass wir dort hingehen und versuchen, wenigstens ein paar Minuten auf andere Gedanken zu kommen. Mehr war es aber auch nicht: ein Essen mit Freunden, Anstoßen um Mitternacht und dann ging es nach Hause, zurück in unsere Trauer. Aber die Stunden im Kreise meiner Freunde taten mir gut.

Das Thema Fehlgeburt ist selbst heute - im Jahr 2020 - ein Tabu Thema. Aber warum?
Beschäftigt man sich mit dem Thema „schwanger werden“, vielleicht weil man es selbst mit seinem Partner / seiner Partnerin plant oder es im Freundeskreis immer mehr Babys gibt, kommt das Thema Fehlgeburt nicht richtig an die Oberfläche. Die wenigsten Frauen sprechen über ihre Fehlgeburten. Erst, wenn man selbst eine Fehlgeburt hatte, gehört man zu dem „Frauenkreis“, der darüber spricht. Erst dann merkt und hört man, wie vielen anderen Frauen, auch in direktem Umfeld, das gleiche Schicksal passiert ist.

Ich nehme mich hier nicht raus, es gibt Freundinnen von mir, die es bis heute nicht wissen. Sie werden es jetzt wissen. Man kann sich jetzt zurecht fragen: Sind das denn dann Freundinnen, wenn die etwas so Persönliches nicht wissen? Tja, das ist eine komplizierte Frage, aber ich für mich kann sie ganz klar mit JA beantworten. Ich kann aber auch nicht sagen, warum ich es nicht erzählt habe. Vielleicht, weil sie bis dahin nicht wussten, dass ich schwanger war? Gut und gerne nehme ich diese Erklärung als eine Art Ausrede für mich selber, rechtfertige es für mich, denn es tut weh, unglaublich weh, diese Worte auszusprechen.

Nun hieß es also auch, allen Freunden und der Familie, der man ab der 12. Woche gesagt hat, man erwarte ein Baby, die schlimme Nachricht zu überbringen. Der Schmerz ist schon mit Worten nicht auszudrücken, und dann kommt noch diese schier nicht zu bewältigende Aufgabe auf einen zu. Man weiß, dass einen mitleidige Blicke erwarten, Umarmungen, tröstende Worte. Von Menschen, die einem ganz nah stehen, aber es tut weh, so unglaublich weh.

Auch im Büro wussten ein paar wenige Kollegen, mit denen ich eng gearbeitet habe, von meiner Schwangerschaft. Hier das gleiche Spiel, die traurige Nachricht erzählen.

Würde ich mich selber beschreiben, würde ich mich als „Steh-auf-Frauchen“ bezeichnen. Ich habe in meinem Leben schon sehr schwierige emotionale Situationen erlebt und mich dort immer wieder raus gekämpft, bin wieder aufgestanden. Glück für mich, dass ich so stark bin. Auch das ist keine Selbstverständlichkeit. Ganz viel Unterstützung von nahestehenden Personen hat mich stark werden lassen.

Aber das geht nicht allen Frauen so. Viele fallen nach einer Fehlgeburt in ein tiefes Loch und ich kann es nur all zu gut verstehen.

Ich möchte mit meinem Beitrag allen Frauen Mut zusprechen. Den Mut zu haben, über diese Erfahrung zu sprechen, sie zu teilen, zu verarbeiten. Diese Erfahrung wird immer ein Teil von uns sein, immer, wie weh sie auch tut.

Nach dieser Erfahrung haben mein Mann und ich uns dazu entschieden, es noch einmal zu probieren und es hat recht schnell geklappt. Meine nächste Schwangerschaft war − trotz aller Angst − eigentlich ohne Komplikationen.

Ihr lieben Frauen, lasst euch bitte nicht die Hoffnung nehmen, ganz gleich, wie groß der Schmerz auch ist. Ich weiß, wie groß er ist…

Inzwischen hat Laura eine acht Monate alte Tochter.

Das Ende vom Anfang – Laura M
Laura M (31)Office Manager

Laura ist 31 Jahre alt und lebt in Hamburg. Sie ist verheiratet.

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Am 11.11.2020 veröffentlicht.
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