Frederike (37)Lehrerin

Stille Geburt zuhause

Frederike fühlte sich bei ihrer Fehlgeburt nicht besonders fürsorglich von ihrer Ärztin betreut. Sie entschied sich statt der Überweisung zur Kürettage für eine Stille Geburt zuhause.

Meine zweite Schwangerschaft war zu dem Zeitpunkt nicht geplant und kam überraschend. Von Anfang an ging es mir schlechter als in der ersten Schwangerschaft und ich brauchte länger, um mich auf die neue Situation und das neue Baby einzustellen. Als meine damals gerade sechs Jahre alt gewordene Tochter erfahren hat, dass sie ein Geschwisterchen bekommt, war ihre erste Reaktion: „Hoffentlich stirbt das Baby nicht im Bauch.“ Ich war schockiert und weiß bis heute nicht, wie sie auf diesen Gedanken kam.

Langsam stellte sich bei mir dann doch die Freude ein, das Rechnen und Wochenzählen, Namensliste, den wachsenden Bauch bewundern und ja, ab der 12. Woche entspannen und auf die ersten Bewegungen spüren. Da mein Mann aus erster Ehe zwei Jungs hat, hielt er es für eine gute Idee, sich jetzt sterilisieren zu lassen, da insgesamt vier Kinder doch genug seien.

Ich weiß noch, wie ich am 12. 9. 2017 auf dem Weg zum Ultraschall mein Spiegelbild in einem Schaufenster gesehen habe und stolz auf den kleinen Bauch war. Zum ersten Mal hatte ich meine Tochter dabei, damit sie das Baby beim Ultraschall sehen kann.

Beim Ultraschall war dann sofort klar, dass etwas nicht stimmt. Die Ärztin schickte meine Tochter raus. Das Baby reagierte nicht, es bewegte sich nicht, es war einfach nur ein Bild auf dem Ultraschall. Ich hatte es doch schon gespürt...

Während die Ärztin meine Tochter wieder reinholte und ihr versuchte zu erklären, dass das Baby tot ist (sie hat es nicht hinbekommen), sollte ich meine Mann anrufen. Dann hat mir die Ärztin gesagt, dass ich es in ein paar Monaten einfach noch mal versuchen solle, auch wenn ich mir das jetzt nicht vorstellen könne. Ich wolle sicher wissen, wie es jetzt weitergehe. Ich solle mich in dem Krankenhaus melden, in dem ich sowieso entbinden wollte, dort wäre am Donnerstag die OP mit Vollnarkose und je nach Stärke der Blutung könne ich dann schnell nach Hause. Hier die Überweisung, alles Gute, wie schrecklich, holt Ihr Mann Sie ab?

Ich bin einfach aus der Praxis gegangen, ohne, dass sich jemand dafür interessiert hat, ob mein Mann nun da ist oder nicht. Er war draußen und meine kleine tapfere Tochter hat ihm erzählt, dass das Baby aufgehört hat, zu wachsen. Ich weiß nicht mehr, was ich gesagt habe, aber ich bin losgelaufen, drei Kilometer nach Hause, so schnell es ging, nur nicht denken. Zuhause habe ich zu allererst die Decke aufgetrennt, die ich angefangen hatte zu stricken.

Mein Mann war nicht nur traurig, sondern hat sich schwere Vorwürfe gemacht, weil er mit der Sterilisation nicht gewartet hatte. Ich war sprachlos. Nachts habe ich dann im Badezimmer gesessen und angefangen, nach Ratschlägen zu googeln, weil ich auf gar keinen Fall ins Krankenhaus wollte. Keine Vollnarkose, keine Kürettage, kein Abhaken und Erledigen der Situation! Ich wollte außerdem nicht, dass mein Baby im Klinikmüll landet, ich wollte Abschied nehmen und ihm irgendwie einen Platz geben in meinem Leben. Am nächsten Tag, Mittwoch, habe ich Mails an Hebammen geschrieben, die eine Stille Geburt begleiten und eine gefunden, die sofort gekommen ist und mich gerettet hat. Mit ihrer Unterstützung und der meines Bruders habe ich dann entschieden, das Baby zuhause zu bekommen. Mein Mann war einverstanden, weil er mir vertraut hat.

Wie ich die Tage überstanden habe, bis es sofort weit war, weiß ich nicht mehr. Ich habe funktioniert und war sogar mit meiner Tochter Schuhe kaufen. Am Sonntag, dem 17. 9., war es mittags dann soweit: Wie bei einer „richtigen“ Geburt gingen die Wehen los und irgendwann kam dann das Baby. Die Hebamme war die ganze Zeit telefonisch erreichbar und hatte schon vorher den Ablauf mit mir besprochen. Sie hatte mir auch gesagt, dass die Nabelschnur so dünn sei, dass sie von alleine reißen würde. Bei mir hat sie das nicht getan und das war der Moment, wo ich innerlich ausgestiegen bin. Vorher hatte ich mir den Moment, wenn das Baby da ist, so vorgestellt, dass ich es mir ansehe und Abschied nehme. Als ich die Nabelschnur dann selber durchknipsen musste, war es mit meiner Beherrschung vorbei. Ich habe meine Baby nicht angeguckt, habe mich aufs Sofa gelegt, auf die nächste Wehe gewartet und alles andere meinem Mann überlassen.

Die Zeit nach der Geburt war fast schwieriger als die Tage davor. Die Hebamme ist zum Glück weiter gekommen, was eine große Hilfe war. Der Rest der Welt erwartet ja irgendwie, dass man schnell weitermacht und man fragt sich, welchen Platz ein Kind, das nie außerhalb der Gebärmutter gelebt hat, bekommt? Muss ich mich zusammenreißen, weil ständig und überall Frauen Kinder verlieren? Oder, wie meine eigene Mutter taktlos bemerkte, die Menschen in Mexiko nach dem Erdbeben viel schlimmer dran sind als ich? Überhaupt meine Mutter: Sie hat mir leider ziemlich deutlich gemacht, dass, wer nie eine Fehlgeburt hatte, diesen Schmerz und dieses Leid nicht nachvollziehen kann. Zum Glück habe ich Freundinnen, die mir damals auf einmal alle die Geschichte ihrer Fehlgeburt erzählt haben. Diese drei Freundinnen waren tatsächlich auch die, die mich und mein wochenlanges Abtauchen ausgehalten haben.

Mein Mann hat sich ohne mich dazu entschieden, die Sterilisierung rückgängig machen zu lassen. Damit wollte ich nichts zu tun haben, das hätte ja bedeutet, mir über eine mögliche neue Schwangerschaft Gedanken zu machen. Die Operation war erfolgreich und ich war schneller wieder schwanger, als ich mir Sorgen machen konnte. Diese Schwangerschaft war von Angst begleitet, meine Tochter ist auch nicht ein einziges Mal mit zum Ultraschall reingekommen. Am 16. 9. 2018, kurz vor Mitternacht und damit fast genau ein Jahr nach der Fehlgeburt, ist meine kleine Tochter zur Welt gekommen.

Durch meine kleine Tochter geht der Schmerz über den Verlust nicht weg. Das hat mein Mann nicht verstanden. Ich habe nach der Fehlgeburt eine Therapie gemacht und den Arbeitsplatz gewechselt. Freundschaften sind leider auch kaputt gegangen, geblieben sind die, die mich ausgehalten und verstanden haben. Ich habe mich sehr lange über die Ärztin und ihr ungeschicktes Verhalten aufgeregt, mittlerweile denke ich, dass ihr einfach noch die Erfahrung fehlte, mit so einer Situation umzugehen. Ehrlich gesagt bin ich auch stolz auf mich, dass ich das alles mit der Geburt so hinbekommen habe. Das konnte ich dank meiner Hebamme und meines Mannes. Ich wünsche mir sehr, dass mehr Frauen wissen, dass sie Anspruch auf eine Hebamme und deren Betreuung haben!

Frederike hat nach ihrer stillen Geburt ein Jahr später nochmal eine Tochter bekommen.

Das Ende vom Anfang – Frederike
Frederike (37)Lehrerin

Frederike ist 37 Jahre und Lehrerin

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Warum nur ich?

Am 11.11.2020 veröffentlicht.
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Am 02.01.2021 veröffentlicht.