Monika (52)Übersetzerin

Kein Kind, aber Galgenhumor

Monika hatte eigentlich nie einen Kinderwunsch − bis sie das erste Mal schwanger wird. Sie verliert dieses Kind, danach zwei weitere. Sie ist unendlich traurig, sie wird zynisch und sie fordert: "Die Erfahrung ist mitteilbar. Gehen wir uns allen damit auf die Nerven." Ein starker, selbstflektierender Bericht

Spoiler alert: Kinder habe ich nicht bekommen. Aber immerhin etwas Galgenhumor.

Bis ich mit 37 schwanger wurde: Kinderwunsch gleich Null. Und das immer dezidiert vertreten. Jede Frau, die mit mir beim Cocktail auf die Kinderlosigkeit anstieß und ein halbes Jahr später von Beleghebammen faselte, war für mich eine miese Verräterin. Dann verriet ich mich selbst. Test: positiv. Reaktion: nicht direkt negativ. Oh. Na gut. Okay. Wird schon werden. Ist ja spannend. Wird ja vielleicht ganz schön. Schlendere plötzlich durch die Mama-Abteilung bei H&M. Probiere schon mal Namen aus. Hormone tun das Übrige – und die knallen rein. Die künftigen Großeltern werden in Kenntnis gesetzt. Der Freundeskreis weiß es dann auch. Und der Barkeeper.

Erste Kontrolluntersuchung, aus heiterem Himmel der Satz mit dem Herzschlag. Schlagartiges Downgrading der Patientin von „VIP“ zu „Tja, jetzt müssen wir sehen, dass wir das Schwangerschaftsmaterial loswerden.“ (O-Ton). Im Mutterpass prangt der frische Eintrag „missed abort“, und damit abgestempelt werde ich abgeschoben über die Grenze in ein Niemandsland. (Schauplatz ist wohlgemerkt Berlin Prenzlauer Berg, Babyboomerbastion) Gehe nach Hause, trinke Wodka, lege mich mit Klamotten ins Bett und heule, bis ich Kopfschmerzen habe vor Heulen. Abends kommt mein Freund aus der anderen Stadt angependelt. (Dass er im Zug noch in Ruhe sein Paper zu Ende geschrieben hat, ist eine Unterstellung.)

Eine andere Option als Ausschabung wird mir nicht angeboten. Bei Vivantes warte ich den ganzen Tag. Blättere im Zauberberg die Seiten um, ohne einen einzigen Satz aufzunehmen. Kalt ist mir. Die aufklärende Ärztin wirkt herzlich. Das Beruhigungsmittel wirkt. Das Letzte, was ich von den Pflegern mitbekomme, die mich durch gefühlt endlose Gänge in Richtung Narkose schieben: „Das hier ist GYN-550“. Abends holt mein Freund mich ab. Mit anderen Worten: Er hat den Tag nicht mit mir in der Klinik verbracht. Er hat eine Kürbissuppe gekocht. Bis heute hasse ich Kürbissuppe.

Wenn ich von nun an mit dem Hund in Prenzlauer Berg unterwegs bin, laufe ich drei Mal täglich Amok. Wenn ich nicht traurig&leer bin, dann wütend auf jede Schwangere, jeden Kinderwagen. Ich ziehe zu meinem Freund in die andere Stadt. Glaube, es in Berlin nicht mehr auszuhalten. Wohnungssuche in der neuen Stadt erzeugt Heulanfälle. Sitzen auf Parkbänken in der neuen Stadt erzeugt Heulanfälle. Heute weiß ich, dass ich damals Depressionen hatte. Die ich noch zehn Jahre mit mir herumschleppen sollte. Damals wollte ich von so was nichts wissen. Hab auf dicke Hose gemacht. Es wird Frühling, die Bäume schlagen aus, etc. Ich denke – wir denken – probieren wir’s halt nochmal, vielleicht klappt’s ja. Kein Stress.

Aber. Meine Regel bleibt aus. Und aus. Und aus. Stress. Man wird ja nicht jünger. Man wird bald 38. Ich versuche mich auf meinen dezidiert fehlenden Kinderwunsch rückzubesinnen. Stress. Muss mir vor Ort eine vernünftige Ärztin suchen. Stress. Die überweist mich in eine Kinderwunschklinik. Stress. Ich muss mit einer Bimmelbahn über Land in die Stadt mit der Kinderwunschklinik fahren. Ich hasse diese Bimmelbahn. Hasse die Kinderwunschklinik. Hasse die Paare, die da sitzen. Untersuchungen ergeben: Die Ausschabung hat ihrem Namen alle Ehre gemacht, die Gebärmutterschleimhaut wurde gleich mit ausgeschabt. Vielen Dank auch. Ich bereue die Dankesmail an die herzliche Ärztin. Kunstfehler oder Künstlerpech?

Also: Hormontherapie. Geht ganz schön ins Geld. Wird ganz schön nicht von der Kasse übernommen. Jeden Tag Spritzen. Auf Kommando am „richtigen Tag“ Sex. Stress ist gar nichts dagegen. Ich kenne niemanden in der neuen Stadt. Aber ich habe ja meinen Freund. Mein Freund hat seine Doktorarbeit. Nach vier oder fünf Monaten breche ich die Behandlung ab. Irgendwann kommt sie wieder, die Regel. Ich werde wieder schwanger. Dasselbe Spiel nochmal. Die nächste Ausschabung findet in der neuen Stadt in der dortigen Klinik statt. Beim Aufklärungsgespräch mit dem Anästhesisten bemerke ich, dass ihm ein Finger fehlt.

Es folgen, im Schnelldurchlauf: Schnauze voll vom Kinderwunsch. Yogaausbildung. Trennung. Umzug nach Berlin. Single sein. Datingportale. Affären. Verliebe mich in den Falschen. Feiere viel. Heule viel. Hund muss eingeschläfert werden. Heule noch mehr.

Die dritte Fehlgeburt habe ich mit 44 und einem neuen Partner. Der alles in seiner Macht tut, um dazusein, abzulenken, zu trösten, zu unterstützen – und mich irgendwie – ein bisschen dahin bringt – dass ich über die ganze Misere – vielleicht nicht gerade lachen kann, aber zumindest nicht nur heulen muss. Trotzdem entwickle ich wieder eine Depression, steh auf der Leitung, mache weiter, will davon nichts wissen und sage mir, ich komm schon damit klar. Genau. Merkt man daran, dass einem Schwangere ein Graus und Spielplätze ein Gräuel sind. Zu meiner Wut gesellt sich Zynismus. Irgendwann kommt ein Auslöser, eine blöde Sache im Job, und ich komme nicht mehr klar, und merke es endlich. Und ich – die große Therapiegegnerin und Verfechterin der Autarkie – suche mir psychiatrische und therapeutische Hilfe. Wozu ich nur aufrichtig ermuntern kann. Frühzeitig!

Ich arbeite immer schon von zu Hause aus in einem (gewollt) einsamen Job. Neige zur Eigenbrötlerei. Zugegeben, ich habe wenig unternommen, um mich mitzuteilen. Dachte, dass die Erfahrung irgendwie – nicht mitteilbar sei. Dass ich den Leuten damit auf die Nerven gehe. Noch mehr betretenes Schweigen auslöse. Meine Eltern wissen bis heute nicht genau, wie sehr mich das alles über die Jahre belastet hat. Wie schmerzhaft die scherzhaft gemeinten Bemerkungen meines Vaters über ‚ungewollte Enkellosigkeit’ waren.

Einzelne Sätze verfolgen mich bis heute. Niederschmetternde wie der mit dem Schwangerschaftsmaterial. Und tröstliche. Ein wildfremde Frau in der Umkleide sagte akut zu mir: „Glaub mir, das passiert so vielen.“ Hilft mehr als kübelweise Kürbissuppe. Trotzdem sind einzelne Sätze nicht genug. Es müssen Texte daraus werden. Die Erfahrung ist mitteilbar. Gehen wir uns allen damit auf die Nerven.

Das Ende vom Anfang – Monika
Monika (52)Übersetzerin

Ich bin 52, lebe in Berlin und arbeite als Übersetzerin

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