Am Tag des Schutzengels
Stefanie hatte nach einer Vorerkrankung endlich einen Sohn bekommen. Die zweite Schwangerschaft war leider eine Eileiterschwangerschaft, die noch dazu viel zu spät erkannt wurde.
Und da war er! Mein Sohn. Am 02.10.2018, dem Tag des Schutzengels. Auf diesen Moment habe ich so sehnsüchtig gewartet. Ich schnapp mir den Kleinen, ziehe ihn zu meinem Gesicht, es ist Liebe auf den ersten Blick.
Anfang 2016 haben wir beschlossen, unsere Familienplanung anzugehen. Kurz darauf bekomme ich einen Anruf, bei dem mir sehr unsensibel mitgeteilt wird, dass mein Krebsabstrich nicht in Ordnung ist und ich operiert werden muss. Nach dieser OP ist nichts mehr, wie es davor war. Ich spüre jeden Monat, dass etwas nicht stimmt. Von den Ärzten wird es nicht ernstgenommen. Im Herbst gehen wir in die Kinderwunschklinik. Hier werde ich gründlich untersucht und es wird festgestellt, dass mein Muttermund total vernarbt und fast komplett zu ist. Außerdem sind meine Eileiter nicht ganz durchlässig. Ich bin am Boden zerstört. Wir wollen es weiter versuchen, ein Kind zu bekommen, doch jeden Monat falle ich in ein tiefes Loch und in mir kommt das Gefühl hoch, dass ich vielleicht nie Mama werde.
Anfang 2018 machen wir dann eine IVF. Sie ist sofort erfolgreich und im Oktober 2018 können wir unser Wunder in die Arme schließen. Wir denken gar nicht über weiteren Nachwuchs nach, verhüten auch nicht, schließlich ist es ja nicht gerade leicht für mich, schwanger zu werden. Ende Januar 2020 höre ich plötzlich auf, Süßes zu essen. An einem Tag kann ich fast nicht sitzen, mein Steißbein schmerzt extrem. Meine Heilpraktikerin fragt mich, in welchen Situationen in meinem bisherigen Leben ich ebenfalls nichts Süßes mochte. Mir fällt nur die Schwangerschaft mit meinem Sohn ein. Wochen vergehen. Ich fühle mich ständig kränklich, mein Hals kratzt, das zieht sich über Wochen. Ich sage zu meiner guten Freundin: „Irgendwas ist komisch. Ich werde nicht richtig fit.“ Dass ich schwanger bin, weiß ich damals nicht. Ich hatte ja ganz normal meine Periode.
Plötzlich beginnen Zwischenblutungen, dazu Unterleibsschmerzen. Das hatte ich nur einmal in meinem Leben. Als ich eine Unterleibsentzündung hatte. Nicht schon wieder, mein Unterleib hat eh schon so viel mitgemacht. Der Arzt meint, es könnte eine Ovulationsblutung sein. Bei der Untersuchung sieht er keine Auffälligkeit im Eileiter. Ein Schwangerschaftstest wird leider nicht gemacht. Ich gehe aber in diesem Moment davon aus, weshalb ich den Gedanken „Schwangerschaft“ nach dem Arztbesuch total abhake.
Zehn Tage später, ich sitze im Unterricht und kann eigentlich nicht mehr sitzen. Ich habe extreme linksseitige Schmerzen und weiß, dass etwas absolut nicht stimmt. Ich beiße die Zähne zusammen und halte bis zum Schluss durch. Auf dem Nachhauseweg kaufe ich einen Schwangerschaftstest. Zuhause durchgeführt zeigt er sofort ein PLUS. Für mich bricht innerlich eine Welt zusammen. Diesen Moment habe ich mir so sehnlichst gewünscht, leider ist mir hier schon deutlich bewusst, dass etwas ganz und gar nicht stimmt. Ich telefoniere mit meinem Freund, der genau heute für drei Tage mit seinen Freunden weggefahren ist, ich telefoniere mit meiner Mama. Meine Schwiegermama bringt mich in die Notaufnahme. Der HCG-Wert fast 20 000. Bevor ich mich auf den Stuhl setze, spreche ich noch ein schnelles Gebet aus. Es hilft leider nicht mehr. Der Arzt zeigt mir auf dem Ultraschallbildschirm meinen kleinen Wurm mit Herzschlag, auch das akkustische Signal macht er an. Die Schwangerschaft steckt im Eileiter fest. Ich werde auf mein Zimmer gebracht. Ich weine. Ich möchte zu meinem Sohn. Ich möchte zu meinem Freund. Ich habe Angst um mich, was wird aus meinem Sohn, wenn mir was passiert?
Nach einer Weile habe ich extreme Sorge um meinen kleinen Schatz in mir. Ich weiß, dass er bald gehen muss und lege meine Hand fest auf ihn und fange mit ihm zu reden an. Ich sage ihm, dass ich ihn halten werde und bei ihm sein werde und er keine Angst haben muss, seine Mama bleibt bei ihm. Um kurz nach Mitternacht ist es soweit. Die Narkose fühlt sich für mich an wie meine Erlösung. Nach der OP berichtet mir der Arzt, dass ich schon in der 9./.10 SWW war. Der Eileiter wurde auch entfernt. Rückblickend wird mir jetzt so einiges klar.
Die nächsten Wochen und Monate falle ich in ein tiefes Loch. Ich trauere so sehr um meinen verlorenen Kleinen, gleichzeitig habe ich das Gefühl, mich nicht mehr richtig um meinen kleinen Sonnenschein kümmern zu können. In meinem Umfeld wird jeder, und ich mein: wirklich jeder, mit den 2. Kindern schwanger. Ich mache eine Therapie, wir machen eine Paartherapie. Der Corona-Lockdown hilft zumindest dabei, dass ich mich unbemerkt etwas zurückziehen kann. Ich bin gebrochen und weiß nicht, wie ich wieder heilen kann. Vor dem 6. März 2020 kamen jedes Mal, wenn ich an der Klinik vorbei fuhr Glücksgefühle und die Erinnerung an die Geburt meines Sohnes in mir hoch. Jetzt geht das nicht mehr. Zu präsent ist die Nacht von 6. auf 7. März, als mir meine Schwangerschaft im Eileiter entfernt wurde. Ich hoffe, dass ich irgendwann nochmals dieses Glücksgefühl erleben darf. Mein Sohnemann hat am 02.10.2018 Geburtstag. Der Entbindungstermin für unseren kleinen Stern wäre auch der 02.10.2020 gewesen. Das haben die beiden gut hingekriegt, so ist der freudigste Tag in Mamas Leben auch der Traurigste. Der Tag des Schutzengels. Danke ihr zwei!
Ich bin 35, lebe in Tirol mit meinem Freund, Sohn und Hund. Derzeit bin ich in Bildungskarrenz und habe gerade meine Ausbildung zur Sozialpädagogin berufsbegleitend abgeschlossen. Die Ausbildung seit 2016 war begleitet von belastenden und schwierigen Lebensumständen. Unerfüllter Kinderwunsch, Tod von Tante und Oma sowie der Eileiterschwangerschaft, aber auch dem schönsten Ereignis in meinem Leben, der Geburt meines Sohnes. Eigentlich bin ich ein offener Mensch, der viele Freunde hat und gerne mal Feiern geht, reist und sportlich aktiv ist. In den letzten Jahren ist mir davon etwas abhanden gekommen, und ich bin hoffnungsvoll, dass ich diese Lebensfreude irgendwann wieder zurückgewinnen kann…