Susanne (44)Fremdsprachenlehrerin

Diagnose: Windei

Susanne wurde überraschend mit Anfang 40 noch einmal schwanger. Wenige Zeit darauf erhielt sie die Diagnose: Windei. Sie fragt sich heute, warum es keine Leitlinien für die Frau nach einer Fehlgeburt gibt.

Ich habe erst vor 6 Wochen zum zweiten Mal geheiratet und zwei Tage später erfahren, dass ich schwanger bin. Die Schwangerschaft war nicht geplant, immerhin bin ich schon über 40 und mein Mann sogar 65. Trotzdem war die Freude riesengroß, und auch mein Mann hat nach anfänglichem Schock sehr schnell Gefallen an der Idee eines späten Vater-Seins gefunden und sich seine Rente in drei Jahren schon mit Kleinkind an der Seite ausgemalt. Ich merkte, dass ich den Kinderwunsch nach der Geburt meiner Tochter vor knapp 10 Jahren und der ersten gescheiterten Ehe sehr schnell rein rational begraben habe: Ich hatte mir eben leider den falschen Mann ausgesucht, mit dem ich kein zweites Kind haben wollte, und die große Liebe meines Lebens, die ich erst vor 7 Jahren traf, war nun leider zu alt für ein weiteres Kind. So habe ich zumindest gedacht. Mit der zweiten Schwangerschaft waren sie auf einmal wieder da, die verdrängten Glücksgefühle und die unbändige Freude auf ein zweites Kind.

Da wir uns zurzeit mitten in der Corona-Pandemie befinden und die zweite Welle gerade über uns rollt, habe ich meinen Chef schon 1 Woche nach dem Schwangerschaftstest und dem ersten Frauenarztbesuch (5. SSW) über die Schwangerschaft informiert. Ich wollte so schnell wie möglich „weg von der Front“, wo ich tagtäglich mit 30 Kindern auf engem Raum bin und angehustet werde. Ich wollte mein ungeborenes Kind schützen. Gleichzeitig beschlich mich das ungute Gefühl, zu früh zu agieren. Was, wenn es nicht gutgeht? Dann habe ich die gesamte Beamten-Verwaltungsmaschinerie (Freistellung, Vertretungslehrer suchen, neuer Stundenplan, Umverteilungen im Kollegium…) in Gang gesetzt und muss vielleicht doch bald verkünden, dass ich wiederkomme. Es gehen einem tausend Gedanken durch den Kopf, auch wenn das für Außenstehende irrsinnig erscheint (Kommentar: Lass doch die Schule Schule sein).

Und dann, nur drei Tage nach dem Gespräch mit meinem Direktor, kam der erste Rückschlag. Ich hatte den Verdacht auf eine Scheideninfektion und Angst, dass Bakterien nach oben wandern und den Embryo gefährden könnten. Es war Sonntag und ich fuhr in die nahegelegene Klinik zur Schwangerenambulanz. Nach langer Wartezeit untersuchte mich eine sehr nette Assistenzärztin. Bei der Ultraschalluntersuchung schaute sie immer wieder hin und fragte schließlich: „Hat ihre Frauenärztin denn einen Dottersack gesehen?“. Nein, hatte sie nicht, aber bei der ersten Untersuchung war sowieso nur der Hauch einer Fruchthöhle erkennbar. Vielleicht gab es ja eine Zyklusverschiebung, meinte die Ärztin. Kommt oft vor. Wegen einer evtl. Therapie rief sie die Oberärztin dazu. Die schaute sich schweigend und mit strengem Blick die Ultraschallbilder an und mir war klar: Da stimmt was nicht. Auch mein Mann, selbst Arzt, reagierte sehr gedämpft, als er den Bericht aus dem Krankenhaus las.

Da liefen dann bei mir die ersten Tränen und ich fing an, in Netz zu recherchieren, was mich nicht wirklich beruhigte. Weitere drei Tage später bekam ich Blutungen. Und wieder war ich hin- und hergerissen: Blutungen können, müssen aber kein schlimmes Zeichen sein. Am nächsten Tag Termin bei meiner Frauenärztin. Sie war optimistisch. Es gab eine klare Entwicklung im Ultraschall, es hatte sich eine schöne, runde Fruchthöhle gebildet, und die Blutung konnte auch von einer Gefäßverletzung herrühren. HOFFNUNG! An diesem Tag bekam ich auch das erste und letzte Ultraschallbild von meiner Schwangerschaft. Mein Mann schaute genau hin und angeblich konnte er am Rand der Fruchthöhle was sehen. HOFFNUNG! Ich war erleichtert und doch ging das mulmige Gefühl, dass etwas nicht in Ordnung ist, nie weg.

Die nächste Woche bis zum nächsten Termin war ein ständiges Auf und Ab. An diesem Donnerstag im November erfuhr ich dann, dass meine Fruchthöhle nach wie vor leer war, sich keine Embryonalanlage und kein Dottersack gebildet hatten. Diagnose: Windei. Ich war am Boden zerstört: Diese Schwangerschaft war wie ein Geschenk vom Himmel gefallen, mit 44 Jahren, ich fühlte mich schwanger, und nun sollte alles vorbei sein. Ich hatte mich allerdings schon auf das Schlimmste vorbereitet, mir einen Ratgeber zum Thema Fehlgeburt gekauft und mich darüber informiert, wie es nun weitergehen konnte. Trotzdem trifft es einen mit voller Wucht. Warum gaukelt mir mein eigener Körper eine Schwangerschaft vor, die längst nicht mehr besteht?? Ich habe in den folgenden zwei Wochen immer wieder an meinem Körper gezweifelt und schlichtweg nicht verstanden, was da vor sich ging.

Nach der Diagnose entschied ich mich dafür, auf einen natürlichen Abgang zu warten. Ich konnte mir nicht vorstellen, schon so kurze Zeit nach der Diagnose „entleert“ zu werden. Ich brauchte Zeit, um für mich zu trauern und es gruselte mir vor der OP. Zwei Wochen lang habe ich gewartet, die Fruchthöhle tat keine Anstalten, meinen Körper zu verlassen und das Schwangerschaftshormon, das zweimal pro Woche gemessen wurde, sank im Schneckentempo. Mein Körper hatte wohl verstanden, dass irgendwas nicht stimmte, aber zu einer starken Abbruchblutung kam es nie. Und so entschied ich mich nach 14 Tagen, mit den Nerven am Ende, für die Kürettage. Morgen habe ich den Termin.

Morgen heißt es dann endgültig Abschied nehmen von unserem „Floh“, der so früh schon nicht wachsen durfte. Ich bin noch dabei, herauszufinden, ob die Gewebeteile der Ausschabung auch bei einem Windei bestattet werden dürfen. Man traut sich kaum, das anzusprechen, denn es ist ja nicht vergleichbar mit Schwangerschaften, die später enden und bei denen es einen Embryo gab. Für mich ist trotzdem mein Kind gestorben und ich weiß nicht, ob ich mit 44 einen weiteren Versuch starten sollte.

Was mich auch verwundert, ist, dass es keinerlei medizinische Leitlinien zum Thema Fehlgeburt gibt (zumindest bis zur 3. Fehlgeburt). Was sollte wann und wie gemacht werden? Welche Optionen hat man als Frau? Durch meinen Mann weiß ich, dass es zu so ziemlich allen medizinischen Themen einen Leitfaden gibt. Fehlgeburten sind scheinbar nicht so wichtig. Da heißt es eben für die betroffenen Frauen: Augen zu und irgendwie durch.

Ich habe beschlossen, auch meinen Schülern gegenüber ehrlich zu sein und nicht von einem hartnäckigen Schnupfen zu sprechen, als Begründung dafür, dass ich über einen Monat gefehlt habe. Einfach wird es nicht. Am 13.12. ist dieses Jahr wieder Worldwide Candle Lighting Day, im Gedenken an alle verstorbenen Kinder. Ich werde eine Kerze in mein Fenster stellen.

Nachtrag: Ich habe noch am Morgen der Ausschabung mit der Klinikseelsorge telefoniert. Im Krankenhaus, an dem ich operiert wurde, sind wohl die Hebammen für die Organisation der Föten-Sammelbestattungen zuständig. Ich habe ein "Sternenkindblatt" ausgefüllt und es der OP-Schwester ausgehändigt, die mir versprach, es an die Hebammen weiterzuleiten. Alle waren sehr verständnisvoll. Man muss als Mutter/Eltern aber wirklich mehrfach explizit den Wunsch auf Bestattung äußern.

Das Ende vom Anfang – Susanne
Susanne (44)Fremdsprachenlehrerin

Mein Name ist Susanne, ich bin 44 Jahre alt und Fremdsprachenlehrerin an einem Gymnasium.

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