Laura (27)Pflegerin

Warum wir?

Laura hat eine Fehlgeburt in der 7. Woche. Sie beschreibt ihre Trauer über den Verlust und wie schwer es ihr fällt, danach wieder normal weiterzuleben.

Mein Mann und ich sind seit fünf Jahren zusammen und seit Juni 2020 glücklich verheiratet. Bei uns lief immer alles glatt. Der Hausanbau, das Zusammenleben, die Hochzeit. Es war uns schon von Anfang an klar, dass wir füreinander bestimmt sind. Natürlich gibt es auch mal Streit, aber irgendwie haben wir eine so tiefe Verbundenheit, die uns nie entzweien kann. Ich hab mir schon oft gedacht, dass es uns zu gut geht und wir eines Tages eine Klatsche bekommen. Es kann nicht immer alles gut sein und so kam es dann auch.

Sein Kinderwunsch war von Anfang an größer als meiner. Ich hatte schon immer Respekt vor der Verantwortung für ein Kind, Angst vor der Geburt und habe mich lange nicht bereit gefühlt. Aber ist man das jemals?
Nach der Hochzeit haben wir es einfach probiert. Man wächst in die Aufgabe hinein, dachte ich. In unserem Bekanntenkreis wurde gefühlt jede schwanger oder hat schon zwei Kinder. Dadurch wurde die Vorstellung einer eigenen Familie immer schöner.

Nachdem ich die Pille abgesetzt hatte, wurde ich prompt drei Monate später schwanger. Ich wusste es sofort. Meine Tage kamen immer relativ pünktlich, da war es mir schnell bewusst, dass es schon soweit war. Wir haben noch fast zwei Wochen gewartet, bis wir einen Test gemacht haben. Dieser war dann sofort positiv. Der zweite am nächsten Morgen auch. Ich habe mich gefreut, dass es so schnell geklappt hat. Ich wollte am liebsten gleich zum Frauenarzt, aber ich habe dann erst zwei Wochen darauf einen Termin bekommen. Die Arzthelferin meinte, wir sollen dem Baby noch ein bisschen Zeit geben,zu wachsen, sodass man mehr sieht beim Ultraschall.

Die Vorstellung, mein Baby bald zu sehen, war unglaublich. Beim Arbeiten dachte ich ständig: "Wenn ihr wüsstet, welches schöne Geheimnis ich in mir trage." Ich liebte es, schwanger zu sein. Mir war morgens immer übel, ich hatte ein Ziehen in der Brust und das Ziehen im Unterleib, das mir anfangs etwas Sorge bereitet hatte, war laut Internet das Einnisten des Embryos.

Mein Mann hat schon Babynamen gegoogelt und sich Gedanken gemacht, wie wir das Kinderzimmer gestalten. Auch wenn ich zu ihm gesagt habe, wir sollten uns nicht zu früh freuen, vielleicht wird es ja nichts, habe ich mir dieselben Gedanken gemacht und mir ausgemalt, wie es denn wird, wenn der kleine Zwerg auf der Welt ist. Meine beste Freundin hatte gerade ihr erstes Baby bekommen und ich würde die nächste sein. Eine schöne Vorstellung. Mir war dennoch klar, dass es oft zu einem Abgang kommt. Man liest ja viel. Aber dass es einem selbst mal passiert? Nein.

Der Tag des ersten Frauenarzttermins war gekommen. Ich musste eine Urinprobe abgeben, Blut wurde abgenommen und für den Mutterpass wurde mit der Arzthelferin die erste Anamnese gemacht. Ich war richtig aufgeregt und merkte gar nicht, dass mir an diesem Tag nicht mehr übel war. Endlich wurde ich aufgerufen. Das erste Gespräch mit der Ärztin war sehr nett. Ich habe mich aufgehoben gefühlt. Nach meinem Umzug vor zwei Jahren bin ich immer noch zu meiner "alten" Ärztin gefahren, aber für meine Schwangerschaft wollte ich eine Ärztin in der Nähe.

Also rauf auf den Stuhl und nach dem Baby schauen. Die Ärztin erklärte mir alles, was sie sah. Sie suchte lange. Es kam mir etwas komisch vor. Dann sagte sie, dass ich in der 7. Woche bin, der Embryo auf dem Entwicklungsstand der 5. Woche ist und keinen Herzschlag hat. Ihrer Erfahrung nach wird es wahrscheinlich nichts werden, aber sie wollte mich fünf Tage später nochmal sehen, ob sich etwas getan hat. Sie hat mir gut zugeredet, war sehr fürsorglich, aber die Freude war weg. Es war mir sofort klar, dass es keine "Wunderentwicklung" geben wird. Es war vorbei. All die Symptome die ich hatte, waren weg. Diese fünf Tage waren schrecklich. Ich habe nur geweint und getrauert. Ich konnte es nicht fassen.

Beim nächsten Termin sah man nur noch die Fruchthöhle. Das kleine Minibaby war weg. Man sah nur noch kleine Schatten. Ich musste bitterlich weinen. Warum nur? Was habe ich falsch gemacht? Habe ich was Falsches gegessen? Hatte ich zu viel Stress in der Arbeit?

Meine Frauenärztin versuchte, mich zu beruhigen. Es war nicht meine Schuld. Das passiert leider sehr oft. In dieser Situation gibt es aber nichts, was einen trösten könnte.

Wir gingen nun die Möglichkeiten durch, wie es jetzt weitergeht. Es sah nicht danach aus, dass es von alleine abgeht. Ich hatte keine Blutungen und keine Schmerzen. Die Tabletten, die den Abgang einleiten, können sich Tage oder Wochen ziehen, und wenn nicht alles abgeht, muss man trotzdem zur Ausschabung. Prima. Es war zu der Zeit zwei Wochen vor Weihnachten. Das Fest der Liebe. Mein Fest der Trauer. Ich entschied mich für die Ausschabung. Ich wollte das Unumgängliche nicht noch länger hinausziehen. Ich war eh schon am Ende. Meine Ärztin rief in der Klinik an und ich konnte mich noch am selben Tag vorstellen.

Mein Mann musste draußen warten. Es war schrecklich, alleine zu sein. Nach all den Untersuchungen, fragte mich die Ärztin, ob es mir in 2-3 Tagen passen würde. Ich wollte es aber hinter mich bringen, und bekam am selben Tag den Eingriff. Ich war nüchtern. Ich rief meinen Mann an, der draußen immer noch wartete, und sagte ihm, dass es heute gemacht wird und er mich später wieder holen kann. Er weinte. Ich weinte. Ich bekam ein Bett und wartete und wartete. Da ich auf der Gynäkologie lag, hörte ich ab und zu mal Babygeschrei. Es war hart. Ich war so froh, dass meine Zimmernachbarin ausgeflogen war.

Ich war sehr verzweifelt, habe nur geweint, dass ich bald wirklich nicht mehr schwanger bin. Ich konnte es nicht begreifen, was da gerade geschieht. Dann wurde ich in den OP geschoben. Jede Schwester oder Ärztin nahm meine Hand oder streichelte mir den Kopf, als ich immer noch weinte. Ich lag auf der OP-Liege und starrte nur auf die Decke und weinte. Ich bekam richtig Panik, weil jetzt gleich mein totes Baby oder was davon noch übrig war, weggemacht wird. Ich weinte durch, bis die Narkose wirkte.

Gefühlt Stunden später wachte ich auf. Zuerst war ich wie versteinert. Als ich dann das Blut in meiner Einlage sah, realisierte ich, dass es vorbei war. Die Trauer überkam mich wieder mit voller Wucht. Zurück auf dem Zimmer, hatte ich einen kurzen Moment der Erleichterung. Ich hatte es geschafft. Ich hatte keine Schmerzen. Aber dieser Moment hielt nur kurz. Kurze Zeit später kam die Ärztin und ich durfte nach Hause. Mein Mann holte mich ab und wir fuhren still nach Hause. Daheim lagen wir uns in dem Armen und weinten zusammen.

Die darauffolgenden Tage waren ein Auf und Ab. An einem Tag ist es in Ordnung, da bin ich fast im Reinen mit mir, am nächsten Tag habe ich wieder den totalen Zusammenbruch. Meinem Mann fällt es schwer, mich so in tiefer Trauer und Verzweiflung zu sehen. Er ist natürlich auch sehr traurig, aber Männer trauern anders. Sie können viel eher wieder aufstehen und weitermachen. Was nicht heißt, dass es ihnen nicht genauso schwerfällt. Mir fällt es dagegen sehr schwer. Wir reden viel und schweigen viel. Wir halten uns in den Armen. Geben uns Halt.

Ich gehe erst nach Weihnachten wieder in die Arbeit. Ich möchte nicht, dass es jeder weiß. Ich will es nicht in der Arbeit oder im weiteren Familien- bzw. Bekanntenkreis sagen. Ich will nicht mitleidig angesehen werden. Vielleicht will ich nicht immer mit Menschen konfrontiert werden, die es wissen und mich nur durch deren Anwesenheit oder Blicke, die gar nicht so gemeint sind, daran erinnern, was ich verloren habe. Das klingt irgendwie bescheuert. Unsere Familien und meine besten Freundinnen wissen es und stehen uns bei. Ich kann mit ihnen darüber reden oder sie lenken uns ab und bringen uns zum Lachen. Wenn ich lache, habe ich gleichzeitig ein schlechtes Gewissen. Wie kann ich Fröhlichkeit und Trauer gleichzeitig empfinden.

9 Tage ist es jetzt her. Heute ist ein guter Tag. Ich fahre später noch zu meiner beste Freundin und besuche sie mit ihrem kleinen Baby. Es wird mir sicherlich schwer fallen, aber ich versuche, wieder aufzustehen.

Gestern hatte ich einen Kontrolltermin bei meiner Frauenärztin. Es ist noch Gewebe in der Gebärmutter, welches bei der nächsten Periode mit abgehen soll. Es hat Zeit, sagt sie. Für mich ist es nur die nächste Klatsche ins Gesicht. In meiner Vorstellung geht alles gut und wir können es gleich wieder probieren, es soll gleich wieder klappen und diesmal gesund sein. In meiner positiven Grundeinstellung zum Leben kann ich die große Trauer nur bewältigen, weil am Schluss immer alles gut wird. Aber wird es wieder gut werden?

Jetzt muss ich meine Periode abwarten. Wann wird sie kommen? In 4 Wochen? In 8 Wochen? Dann muss ich nochmal zur Frauenärztin. Wird dann alles gut sein? Muss ich nochmal zur Ausschabung?

Ich weiß, man soll sich die Zeit nehmen, die man zur Trauerbewältigung braucht. Ich fühle mich oft so leer und kraftlos. Ich habe keinen Appetit. Mir ist es egal, was es zu Essen gibt. Mir ist es egal, welchen Film wir anschauen. Das alles scheint so unwichtig. Ich empfinde keine Wut. Ich trauere um unser Baby.

Ich habe Angst, dass es beim nächsten Mal wieder passiert. Ich habe Angst, dass ich gar nicht mehr schwanger werde. Jetzt nach diesem Verlust ist mein Kinderwunsch fast unerträglich. Ich war ja schon kurz Mama und jetzt nicht mehr. Warum ist das passiert? Wie geht es weiter? Ich hoffe, dass ich meine Lebensfreude bald wieder zurück bekomme und den Glauben an das Gute wieder finde. Ich wäre gerne mit meinem Baby schwanger und gesund geblieben. Es wäre ein Sommerkind geworden. Am 17.7.21 hätten wir unser Baby in den Armen halten können. Aber ich bin froh, es kurz bei mir gehabt zu haben.

Mein Mann und ich sind uns momentan so nahe wie noch nie. Wenn wir uns in die Augen schauen, sehen wir viel Trauer, aber auch Hoffnung. Und am meisten sehe ich die Liebe darin. Die Liebe, die uns alles überstehen lässt. Die Liebe, die uns weitermachen lässt. Die Liebe, die uns einen Neuanfang ermöglicht. Die Liebe, die unser erstes Baby nie vergessen wird.

Das Ende vom Anfang – Laura
Laura (27)Pflegerin

Ich heiße Laura, 27 und lebe mit meinen Mann und Hund in der Oberpfalz. Ich liebe es, zu reisen und die Welt zu entdecken.

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Am 02.01.2021 veröffentlicht.
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