Pia (33)Sachbearbeiterin

Die Narben auf der Seele bleiben

Pia schreibt, wie sie auch durch eine Therapie gelernt hat, zu trauern und zu akzeptieren. Und sie prangert an, dass Fehlgeburten nicht behandelt werden dürfen wie eine Blinddarmentzündung.

Danke für all die Geschichten und das Teilen eurer Gefühle. Ich möchte gerne auch meine Geschichte erzählen, damit die Stille um das Thema immer lauter wird.

Sommer 2017: Nach vielen Versuchen und ersten Besuchen in der Kinderwunschklinik wurde ich überraschend und auf natürlichem Wege schwanger. Es war die pure Freude und es gab nicht einen Gedanken daran, dass etwas schief gehen könnte.

  1. Juli 2017: Ultraschalltermin in der SSW 8 und ziemlich schnell war klar: Keine Herztöne mehr. Seit der 7. Woche.
    Ich brach erst zuhause zusammen. Konnte die Tränen nicht aufhalten und war so unfassbar traurig. Nie zuvor habe ich eine so tiefe Traurigkeit gespürt. Mein Mann stand mir zur Seite. Wir warteten zwei Wochen auf einen natürlichen Abgang. Vergebens. Ich musste operiert werden. Der Eingriff verlief gut und auch danach ging es mir körperlich schnell wieder besser. Aber seelisch ging es mir nicht gut. Mein Mann und ich sprachen viel, ich ließ meiner Trauer freien Lauf und berichtete auch im Freundeskreis über die Fehlgeburt. Das tat mir gut. Zu akzeptieren, dass niemand und vor allem ich keine Schuld hatte fiel mir allerdings schwer. Ich fragte mich: Warum ich? Was habe ich falsch gemacht?

Herbst 2017: Wir versuchten es erneut. So sehr wollten wir doch ein Kind. Es klappte schnell. Und dann war da die Angst. Neben der Freude. Immer nur Angst. Vor jedem Ultraschall.

28.12.2017: Ultraschalltermin in der SSW 13. Und wieder: Keine Herztöne. Und diesmal war es nicht nur ein kleiner Zellhaufen, sondern bereits ein richtiges kleines Wesen.

Diesmal fiel ich. Ich fiel in eine tiefe Trauer. Nach außen blieb ich tapfer. Der Eingriff, die Kürettage, verlief erneut gut. Mein Umfeld kam nicht auf den Gedanken, dass es ein traumatisches Erlebnis gewesen sein könnte. Nur mein Mann musste zusehen, wie ich immer mehr meinen Lebenswillen und vor allem meine Freude, die mich sehr ausmacht, verlor.

Ich entschied mich für eine Therapie. Wollte nicht weiter sinken. Und es half. Zu sprechen und Hilfe zu bekommen, und vor allem meiner Trauer freien Raum zu geben. Die Gesellschaft kommt mit Trauer nicht zurecht, oft hatte ich das Gefühl mit meiner Traurigkeit zu nerven. Ich musste mir anhören: „Bald klappt es bestimmt.“ „So ist das Leben – brutal!“ „Haltet durch, irgendwann klappt’s.“ „Sei dankbar für das, was Du hast“ – Leider konnte ich dieses in meinen Augen "Fehlverhalten" nicht richtig kommentieren – es ärgert mich heute noch.

Fragen wie: „Soll es vielleicht wirklich nicht sein?“ oder „Stimmt etwas nicht?“ wurden lauter und wir ließen uns in einer Uniklinik durchchecken. Ergebnis: "Alles in Ordnung." Niemand konnte mir sagen, warum uns das passiert. Und das war schrecklich. Mein Mann und ich machten uns gegenseitig stark und legten das Thema zur Seite.

Dank der Therapie lernte ich, zu akzeptieren. Zu akzeptieren, dass ich nicht alles und jeden kontrollieren kann. Für mich war das ein großer Fortschritt.

Sommer 2018: Ungeplant und überraschend wurde ich wieder schwanger. Die dritte Schwangerschaft. Und ich wollte es nicht mehr. Schwangersein. Angst. Tod. Mir ging es gerade besser. Ich kam gerade wieder zu mir. Und auch diese Gefühle akzeptierte ich. Und dann kam auch die Vorfreude und der Glaube „Alles wird gut“ zurück. Die Schwangerschaft blieb.

Januar 2019: Meine kleine Tochter kam gesund auf die Welt. Die Geburt war der Moment, an dem ich entspannen konnte. Während der ganzen Schwangerschaft hatte ich Ängste, Zweifel und war gefühlt jede Woche beim Frauenarzt.

Herbst 2020: Ich bin wieder schwanger. Gewollt. Und natürlich sind wir verhalten und ängstlich, und trotzdem freuen wir uns. Freuen uns, zu wachsen. Malen uns ein Leben zu Viert aus.

30.11.2020: Ultraschalltermin in SSW 9 und da ist es wieder: Dieses Nichts auf dem Ultraschall. Keine Herztöne. Und wieder alles von vorne. Eingriff. Und diesmal – durch Corona – alles alleine. Ich bin tapfer. Ich halte die Traurigkeit und Wut aus. Mein Mann ist da, hört zu, tröstet und Schritt für Schritt wird es besser.

Mein soziales Umfeld allerdings versagt. Nach zwei Wochen scheint für viele die Welt wieder in Ordnung zu sein. Und das macht mich so wütend. Ja, ich habe jetzt bereits ein Kind und ja, ich weiß verdammt nochmal, dass das passieren kann; aber trotzdem bin ich traurig. Ich habe ein Kind verloren. Eine kleine Seele mit Herzschlag. Mir wird erneut sehr deutlich, dass Trauer keinen Platz in unserer Gesellschaft hat und gerade jetzt ohne soziale Kontakte ist das Verarbeiten der Trauer schwer.

Gleichzeitig macht mich dieses Erlebnis aber auch dankbar. Ich bin so unfassbar dankbar für meine Tochter. Und auch wenn es mir schwer fällt, lasse ich den Gedanken zu: „Vielleicht bleiben wir zu dritt“. Akzeptanz. Mein Stichwort. Meine Lebensaufgabe.

Ich möchte allerdings nicht akzeptieren, dass das Thema Fehlgeburten so behandelt wird wie Nierensteine oder eine Blinddarmentzündung. Wir haben jemanden verloren und mussten einen Eingriff vornehmen lassen, um uns diesen jemand aus dem Körper entfernen zu lassen. Das ist nicht nur körperlich schmerzhaft, sondern auch seelisch. Ganz egal in welcher Schwangerschaftswoche es passiert.

Was meinem Mann und mir sehr geholfen hat: Wir haben alle drei Seelen an schönen Orten verabschiedet. Wenn wir möchten, besuchen wir diese Orte und wissen immer: Die Kinder haben es dort schön und kommen dort zur Ruhe.
Wir versuchen in diesen wilden Zeiten auch jetzt zur Ruhe zu kommen und uns auf uns zu konzentrieren. Und durch die Erfahrungen weiß ich: Es wird besser. Die Narben bleiben, aber der Schmerz lässt nach.

Und an alle Frauen da draußen, die ähnliches erlebt haben:
Ihr seid nicht alleine! Ihr seid nicht schuld! Holt euch Hilfe, wenn ihr sie braucht! Und lasst alle Gefühle zu – sie sind richtig und wichtig.

Pia hat nach den ersten zwei Fehlgeburten eine Tochter zur Welt gebracht.

Das Ende vom Anfang – Pia
Pia (33)Sachbearbeiterin

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