Suse (39)Lehrerin

Die Trauer kommt in Wellen

Susanne hatte die erste Fehlgeburt nach ihrer ersten Tochter. Sie bekam daraufhin zweit weitere Kinder, erlitt dann aber nochmal eine Fehlgeburt. Diese fehlt ihr schwer, denn sie weiß, dass sie nun kein Baby mehr bekommen wird.

Mein Mann und ich wollten immer drei Kinder. Nach meiner ersten Tochter hatte ich eine Fehlgeburt, was mir ziemlich den Boden unter den Füßen weggerissen hat und die Schwangerschaft mit meiner zweiten Tochter sehr angsterfüllt hat werden lassen. Ich habe mir deswegen nach ihrer Geburt professionelle Hilfe gesucht und die Fehlgeburt aufgearbeitet, was mir sehr geholfen hat, als ich mit meinem zweiten Kind nach der Fehlgeburt schwanger war.

Ich hatte nun also drei Kinder und eine Fehlgeburt.

Trotzdem hatte ich Sehnsucht nach einem weiteren Kind, aber mein Mann wollte keine Kinder mehr. Wir waren glücklich. Bis zum Sommer 2020. Ich bin überraschenderweise wieder schwanger geworden. Mein Eisprung hat sich durch eine Erkältung nach hinten verschoben und an unserem Hochzeitstag im Urlaub hielt ich den positiven Schwangerschaftstest in meiner Hand. Das Perfide: Der errechnete Entbindungstermin war der gleiche wie bei der Fehlgeburt. Kein gutes Omen.

Während ich meine Zweifel hatte, war mein Mann, der eigentlich kein Kind mehr wollte, auf einmal ganz süß, hat sich gefreut, mit dem Bauch gesprochen und sich nach einem neuen Auto umgeschaut. In der 5. Woche waren meine Symptome plötzlich von dem einen auf den anderen Tag weg. Bei meiner letzten Fehlgeburt, einer Missed Abortion, fühlte ich mich bis zur Ausschabung noch schwanger, also habe ich mir gesagt, das hat nichts zu bedeuten. Aber tief im Inneren wusste ich, dass etwas nicht in Ordnung war.

Mein Frauenarzt war leider im Urlaub und weil ich mich verrückt gemacht habe, war ich bei seiner Vertretung und habe stundenlang gewartet, damit sie bei mir einen Ultraschall macht. Auf dem konnte man noch nichts erkennen, was für die Woche aber normal war, und ich war nicht wirklich schlauer. Ich bin dann einige Zeit später zu meinem Arzt gegangen, der mich dann, zur Beruhigung, jede Woche geschallt hat und zunächst sah es danach aus, als würde etwas wachsen. Aber in der 8. Woche war klar, dass sich der Embryo nicht weiter entwickelt hat. Meine Befürchtungen haben sich bewahrheitet. Ich war nach der Nachricht so geschockt, dass ich erst einmal noch nicht mal weinen konnte. Erst als ich zuhause im Radio „Nothing else matters“ von Metallica gehört habe, flossen die Tränen.

Im Netz habe ich später gelesen (und ich weiß, man soll das nicht googlen, aber ich habe es trotzdem gemacht), dass ein zu früher Ultraschall durch die dadurch entstehende Hitze die Entwicklung des noch sehr empfindlichen Embryos so stören kann (kann, nicht muss), dass er nicht mehr weiter wächst. Viele verhaltene Fehlgeburten laufen so ab, man geht in der 6. oder 7. Woche zum Arzt, sieht den Herzschlag und in der 12. Woche sieht man dann, dass das Baby kurz danach aufgehört hat zu wachsen. Ich dachte, ich wäre schuld daran, dass mein Kind nicht weiter gewachsen ist, weil ich so früh zum Ultraschall gegangen bin.

Heute denke ich anders darüber. Ich glaube, dass ein genetischer Fehler vorlag, und dass das Baby aufgehört hat zu wachsen, als ich in der 5. Woche auf einmal keine Symptome mehr hatte, also noch vor dem Ultraschall. Ich erinnerte mich, wie in der 6. Woche meine Schwangerschaftssymptome wieder kamen, aber ganz anders, heftiger. Ich hatte Hyperemesis (ständiges Erbrechen), mir war so schlecht, ich hatte keinen Appetit mehr und ich war ständig müde und hatte einen aufgeblähten Bauch. Ich habe trotzdem nebenbei noch gearbeitet und habe dann am Nachmittag einfach vor Erschöpfung im Bett gelegen, weil ich nicht mehr konnte. Ich habe die Symptome und die Trauer so gut wie möglich überspielt, aber mir ging es ziemlich schlecht.

Ich wurde von meinem wirklich kompetenten Frauenarzt und von meinen Hebammen begleitet und ich habe mir eine „kleine Geburt“, also einen natürlichen Abgang der Schwangerschaft gewünscht, weil ich bei der ersten Fehlgeburt eine Ausschabung hatte und diese hat mir den Trauerprozess extrem erschwert. Es war damals einfach von dem einen Tag auf den anderen vorbei und ich hatte keine Erinnerung, nicht mal den Mutterpass oder ein Ultraschallbild, weil die Fehlgeburt vor sieben Jahren beim ersten Untersuchungstermin festgestellt wurde.

Aber es ist leider nicht so weit gekommen. Mein Arzt hat mich eines Nachmittags, ich war rechnerisch in der 11. Woche, angerufen, ich müsste sofort ins Krankenhaus wegen des Verdachts auf eine Blasenmole bzw. eine molare Schwangerschaft. Diese tritt ganz selten auf, betrifft nur 1 von 1.000 Schwangerschaften. Aber es kann sein, dass die Eizelle entweder von zwei Spermien gleichzeitig befruchtet wurde, dann gibt es einen dreifachen Chromosomensatz oder dass der Chromosomensatz der mütterlichen Eizelle verloren geht und sich der väterliche verdoppelt. Beides ist ein Gendefekt, der dazu führt, dass das Kind nicht weiter wachsen kann bzw. nicht überlebensfähig ist. Zudem wächst das Plazentagewebe unkontrolliert, was man auf jeden Fall verhindern sollte, da es sich in den Uterus einwachsen kann und der hCG-Wert ist oft extrem erhöht – wie in meinem Fall. Auch die starke Übelkeit und Müdigkeit passten zu den Symptomen.

Im Krankenhaus konnten sie im Ultraschall nichts feststellen, waren aber aufgrund des hohen hCG-Werts auch alarmiert und haben mir zu einer sofortigen Curettage geraten, weil der Körper das Kind nicht von alleine gehen lässt, da die Plazentazellen immer weiter wachsen. Also habe ich mich schweren Herzens für die Ausschabung entschieden und war in demselben Krankenhaus, in dem ich vor fast genau neun Jahren meine erste Tochter zur Welt gebracht habe. Überall auf dem Gelände die Schwangeren und neuen Mütter zu sehen, war wirklich schwer.

Ich musste über Nacht in der Station bleiben (zum Glück nicht die Wöchnerinnenstation, sondern auf der allgemeinen Gynäkologischen), weil es durch die Blasenmole zu starken Blutungen kommen kann. Bei der OP lief aber alles gut und ich konnte am nächsten Tag nach Hause. Die Übelkeit und Müdigkeit waren weg, aber meine Trauer groß. Nach zwei Wochen habe ich von Krankenhaus erfahren, dass es zum Glück keine Blasenmole war, sondern, wie die Ärztin sagte, eine „ganz normale Fehlgeburt“.

Ich weiß, dass ist ihr Job und sie sieht das täglich, aber diese so sachlich formulierte Einschätzung hat mir noch mal den Boden und den Füßen weggezogen und ich habe geweint, geweint, geweint. Meine Hebamme hat mich danach noch begleitet, mit mir gesprochen und mir Balduins Box mitgebracht, eine kleine Erinnerungskiste, mit Sprüchen, Edelsteinen, einem Notizbuch und anderen Dingen. Für beides bin ich sehr dankbar, ich hatte jetzt Dinge, an die ich mich erinnern konnte, die mir bei der Trauer helfen können.

Obwohl ich zu Beginn dieser Schwangerschaft gezweifelt hatte, ob wir wirklich vier Kinder haben sollten, war mir nach der Fehlgeburt klar, dass ich wieder ein Baby möchte. Es war, als hätte dieses Erlebnis einen Schleier weggerissen und ich sehe meinen Wunsch in ganzer, brutaler Klarheit. Warum brutal? Mein Mann, den die Fehlgeburt ziemlich mitgenommen hat und der auch immer nur drei Kinder wollte, möchte nach dieser Erfahrung kein weiteres Kind mehr. Als er mir das gesagt hat, hatte ich eine Panikattacke und habe das ganze Wochenende geweint. Nein, nicht geweint, geheult. Ich trauere jetzt um das Kind, das ich verloren habe und um das zukünftige Baby, das ich nicht haben kann.

Ich habe das Gefühl, ich kann weder vor noch zurück und bin gefangen in meiner Trauer. Da, wo eigentlich ein Baby sein sollte, ist ein leerer, flacher Bauch. Und auch ich fühle mich leer. Es ist egal, dass ich drei gesunde Kinder habe, für die ich natürlich auch dankbar bin und die ich liebe, mein zweites und viertes Baby sind gestorben und sie fehlen mir so sehr. Selbst beim Schreiben jetzt fließen meine Tränen.

Ich habe gelernt, dass die Trauer in Wellen kommt und geht. Mal ist es okay, aber dann trifft es mich wieder und ich fühle nur den Schmerz. Dieses Mal habe ich mir gleich Hilfe gesucht, ich gehe zur Akupunktur, ich habe eine Therapeutin, mit der ich regelmäßig (online) spreche und ich spreche auch offen mit Kolleginnen und Freundinnen über die Fehlgeburt. Außerdem habe ich gleich eine Mutter-Kind-Kur beantragt, die mir auch bewilligt wurde und ich fahre im Mai mit meinen drei Mädels und freue mich auch darauf. Meine Hoffnung auf ein weiteres Kind kann ich noch nicht aufgeben, aber ich muss mich wahrscheinlich von dem Gedanken verabschieden, nochmal ein eigenes Baby im Arm zu halten.

Dieser Abschied ist gleichzeitig ein Abschnitt von einer wichtigen Lebensphase und auch der Abschied von meiner Jugend, was schwer zu akzeptieren ist. Ich wünschte manchmal, ich könnte ein Jahr in die Zukunft schauen und ich hoffe, dass es dann okay ist und sehr wahrscheinlich wird es das sein, aber meine beiden Sternenkinder werde ich immer im Herzen tragen.

Das Ende vom Anfang – Suse
Suse (39)Lehrerin

Suse, 39 Jahre alt, drei Kinder, zwei Fehlgeburten

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Die Narben auf der Seele bleiben

Am 24.02.2021 veröffentlicht.
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Am 28.03.2021 veröffentlicht.