Anne Pascale (42)Körpertherapeutin

Wir hätten uns alle so gefreut.

Anne Pascale und ihre Frau wünschten sich ein Baby. Bei ihrer Frau klappte es sofort, dank Samenspende. Ihr Junge kam im Februar gesund zur Welt. Anne Pascale erlitt dagegen in der 8. Woche eine Fehlgeburt.

Ich weiß sofort das etwas nicht stimmt. Deutlich sehe ich in dem schwarzen Kreis das schemenhafte hellgraue zusammengekauerte kleine Würmchen. Aber es pulsierte nichts, das Bild ist regungslos, still. Ich warte bis die Ferienvertretung meiner Ärztin es ausspricht: „Ich kann leider keinen Herzschlag sehen. Diese Schwangerschaft ist nicht mehr intakt. Das tut mir sehr leid.“ Ok, denke ich, Chromosomenfehler, nicht lebensfähig, das wars. Sie klärt mich über die Möglichkeiten auf: natürlicher Abgang, mit Tabletten, Ausschabung. Es ist Freitag, also erst mal das Wochenende abwarten und Montag eine Entscheidung treffen. Meine Frau steht im Wartezimmer, unseren sieben Monate alten Sohn im Tragetuch, ich sehe sie an, schüttele den Kopf, da ist nichts mehr. Ich muss noch ins Labor zur Blutabnahme. Später ärgere ich mich, dass ich mir das Ultraschallbild nicht habe ausdrucken lassen.

Ich hatte mit der Schwangerschaft nicht mehr gerechnet. Wir hatten nur ein paar engen Freundinnen davon erzählt, und das auch eher aus der Not heraus, weil ein geplanter Urlaub auf die 12-14 Woche fallen würde und ich mir nicht sicher war, ob wir ein Ersttrimester Screening im Ausland organisieren sollte oder ob ich auf die Untersuchungen verzichten konnte. Die Freundinnen in meinem Alter hatte das Screening alle gemacht. Trotz aller Sorgen und Vorsicht, war schwanger zu sein, eine große Erleichterung. Es hatte diesmal ohne Schnickschnack beim zweiten Versuch einfach so geklappt. Wir waren überglücklich. Donnerstag war die Adoption vor dem Familiengericht offiziell geworden, Samstag hielt ich den positiven Schwangerschaftstest in der Hand. Ich wurde sozusagen zweimal Mutter in einer Woche. Das alles musten gute Zeichen sein. Mir ging es gut, ich spürte wie meine Gebärmutter sich ausdehnte und meine Brüste voller wurden. Ich war die andere Mutter in einer Regenbogenfamilie und würde nun auch leibliche Mutter werden: schwanger sein, gebären, stillen, zu Hause beim Kind bleiben. Aller Neid und alle verletzenden Situationen der letzten Monate waren vergessen. Ich wäre nicht mehr diejenige, die monatelang alles schleppen und zusammenbauen muss. Ich würde einen dicken Bauch haben, der sich bewegt und bei der Entspannungsreise im Geburtsvorbereitungskurs nicht mit meine leeren Uterus konfrontiert sein, sondern mein Baby spüren! Ich hatte das Herz schlagen sehen und ein paar Tage später stolz meinen Mutterpass in den Händen gehalten und die grüne Infomappe unserer Beleghebamme mit dem schönen Aufdruck: Frau wird Mutter. Es würde ein Frühlingskind werden. Vielleicht sogar ein Schwesterchen. Alles würde gut werden.

Wir waren zum Arzt gefahren, weil ich morgens Blut in der Unterhose hatte.

Wir waren zum Arzt gefahren, weil ich morgens Blut in der Unterhose hatte. Ich war Ende der 10. Woche und zählte die Tage bis zur 13. Ich wusste, die Chancen in meinem Alter stehen fifty-fifty. Eine Freundin hatte zwischen zwei gesunden Kindern zwei Fehlgeburten, eine andere hatte zwei in der 10. Woche verloren, bevor sie mit einem gesunden Kind schwanger wurde. Bei der Schwangerschaft meiner Kollegin hat das Herz gar nicht erst angefangen zu schlagen. Die Frau meines Cousins hatte letzten Sommer ihr Kind kurz vor dem Entbindungstermin tot geboren und erwartet heute ihr zweites. Die Freundin einer Freundin hatte 5 Fehlgeburten, ihre Frau hat dann die gemeinsame Tochter geboren. Meine Schwangerschaft hat in der 8. Woche aufgehört zuwachsen.

Auf dem Rückweg im Auto fang ich an zu weinen, reiß dich zusammen!, ich muss fahren, meine Frau und unser Sohn auf dem Rücksitz. Zuhause weiß ich nicht wohin mit meinem Schmerz. Meine Frau soll alle informieren, die Bescheid wissen. Ich schäme mich, dass ich überhaupt mit jemandem darüber gesprochen habe. Alle schicken tröstende Nachrichten. Ich will nicht getröstet werden. Ich ziehe mich zurück und mache meine Buchhaltung. Ich werde unendlich wütend, ungerecht, gemein, hadere, will die ganze Welt bestrafen und breche wie so oft einen Streit vom Zaun. Irgendwann können wir zusammen weinen. In der Nacht bekomme ich Krämpfe und fange an zu bluten. Samstag früh sitze ich mit gebrochenen Herz auf der Toilette, heule und habe das Gefühl mein ganzer Unterleib fällt aus mir raus. Wir hatten uns alle so gefreut!

Die ganzen 20 Bahnen redete ich mit dem Kind, dass es doch bitte bitte bitte gesund sein und bleiben soll.

Im Nachhinein erinnere ich mich an den Tag, an dem es aufgehört hat zu leben, 8+1 laut Ärztin. An dem Tag bekam ich Herpes und schlechte Laune. Beides normalerweise prämenstruell. Ein paar Tage später im Freibad war etwas wie der Schatten eines Bluttropfens in meinem Badeanzug gewesen. Die ganzen 20 Bahnen redete ich mit dem Kind, dass es doch bitte bitte bitte gesund sein und bleiben soll. Dass es unendlich schade wäre, wenn es nicht leben kann, aber dass es dann natürlich auch ok wäre, wenn es wieder geht. In der nächsten Woche fand ich keine weiteren „Blutschatten“. Ich war erleichtert und wartete weiter auf den Ultraschall in der zwölften Woche.

Am Sonntagabend sind die Blutungen weniger intensiv und ich sehe mir Bilder von Embryos in der 8. Woche im Internet an. Wäre es leichter, ich hätte das Blut gesammelt, um den Embryo zu finden, und begraben zu können? Die Psychologin rät Zeit für Trauer zu nehmen, ein Trauerritual zu finden, für das verlorene Kind. Ich trau mich gar nicht, es so zu nennen, verlorenes Kind, geschweige denn fällt mir ein Trauerritual ein. Obwohl es in Berlin sogar einen Friedhof für Fehlgeburten gibt. Ich spreche mit einer Freundin darüber, die mit 42 im zweiten Übungszyklus schwanger wurde und mir mit ihrer Neugeborenen auf dem Sofa gegenüber sitzt. Später schreibt sie mir per SMS: „Ich glaube, es geht bei dem Verlust um die Zukunft, die man mit dem Kind haben wollte, um die Liebe, die man schon für das Kind empfunden hat. Da beides für andere nicht konkret ist, wird nicht darüber geredet bzw. so getan als wäre der Verlust geringer, je jünger die Schwangerschaft war. Die Zukunft und die Liebe sind jedoch bestimmt die gleichen.“ Mir laufen die Tränen übers Gesicht.

Die Psychologin rät Zeit für Trauer zu nehmen, ein Trauerritual zu finden, für das verloren Kind. Ich trau mich gar nicht es so zu nennen, verlorenes Kind, geschweige denn fällt mir ein Trauerritual ein.

Wir hatten vor zwei Jahren das Projekt Familiengründung in Angriff genommen. Vernünftigerweise sollte meine Frau schwanger werden, ich war selbständig und verdiente das Geld, sie acht Jahre jünger und gerade erst nach Berlin gezogen. Doch dann hatte sie plötzlich einen Job. Wir gingen in ein Kinderwunschzentrum und angesichts der Preise gleich rücklings wieder raus. Suchten einen Spermaspender im Internet. Über einen guten Freund lernten wir schließlich einen schwulen Kindergärtner kennen, der einverstanden war, dass ich adoptieren würde. Wir entschieden uns für das Abenteuer Regenbogenfamilie. Unsere Kinder würden einen tollen Papa haben und keine Nummer, die sie mit 18 anrufen können. Ich probierte 10 Monate lang per Bechermethode schwanger zu werden, mit und ohne naturheilkundliche Mittelchen und hormoneller Unterstützung. Erfolglos. Bei meiner Frau klappte es gleich beim ersten Versuch. Im Februar 2017 bringt sie unseren Sohn zur Welt. Unser kleines Wunder! Meine Frau stillt. Sein Papa kommt jeden Dienstag. Ich regele die Bürokratie und lese „Confessions of the Other Mother: Nonbiological Lesbian Moms Tell All!“, fühle mich ein bischen weniger allein zwischen meiner unendlichen Liebe für unseren Sohn und meinem Wunsch nach biologischer Mutterschaft.

Am Montag wieder zur Gynäkologin. Meine Ärztin ist aus dem Urlaub zurück, bringt sich auf den neusten Stand. Sie ist sehr nett, es tut ihr sichtlich leid. Ob ich es noch mal probieren wolle oder ob die Frage zu früh sei? Ich müsse auf jeden Fall keine drei Monate warten. Jetzt soll ich erst mal drei Tage Tabletten nehmen, um sicher zu gehen, dass auch alles abgeht und nächste Woche nochmal zur Blutabnahme kommen. Von der Sprechstundenhilfe bekomme ich das Medikament. Ich blute weiter, es wird immer weniger, dann hört es nach ein paar Tagen einfach auf. Eine Woche später warte ich wieder aufs Labor. Eine Paar kommt aus dem Behandlungszimmer. Beide sind ganz aus dem Häuschen. Er hat ein Baby im Tragetuch, sie ist in der 12 Woche und hatte nichts bemerkt, da sie noch stillt. Direkt neben mir sitzt ein Paar, die starren nur auf den Boden und versuchen krampfhaft nicht zu weinen. Nach dem Urlaub soll ich noch mal zur Kontrolle kommen. Draußen fällt mir ein, ich habe vergessen zu fragen, ob und wann ich im Meer schwimmen gehen darf.

Wir hatten uns schon ausgemalt, wie wir ihren Eltern das zehnte Enkelkind verkünden.

Wir fahren in Urlaub, drei Wochen Sonne und Großfamilie. Wir hatten uns schon ausgemalt, wie wir ihren Eltern das zehnte Enkelkind verkünden. Jetzt wollen mir alle Mut zu machen, es sei doch toll zu wissen, dass es überhaupt klappen könnte. Hier kriegt frau von Staats wegen Kinder um jeden Preis: eine Freundin meiner Frau hat in fünf Jahren mehr als dreißig IVF‘s gemacht und kann heute trotz ihres dicken Bauchs nicht glauben, dass sie schwanger ist. Ich gehe im Meer baden und verbringe viel Zeit mit unserem Sohn. Im Herbst habe ich eine Prüfung und lerne. Ich bekomme meine Periode und der HCG Wert ist wieder auf Null. Wir machen einen weiteren Versuch. Nicht schwanger. Blutung. Noch ein Versuch. Dann bleibt die Regel wieder aus, eine Woche, zwei Wochen, drei Wochen, aber die Schwangerschaftstests sind negativ. Ich fühle mich auch nicht schwanger. Die Brüste sind leer. Das wars, zu alt, denke ich. Die Sprechstundenhilfe sagt, die Hormone müssen sich erst wieder einpendeln, das kann dauern, ich solle noch eine Woche warten bevor ich einen Termin bei der Ärztin mache.

Ich erzähle meiner Kollegin von meiner Fehlgeburt, sie hatte nach ihrer eine Ausschabung und erst mal keine Lust auf weitere Versuche. Sie fragt mich, ob ich nicht das neue Kinderwunsch Gleitgel von Ritex ausprobieren will, eine Freundin sei damit nach Jahren jetzt sofort schwanger geworden. Ich hab mir schon so viele Tipps anhören müssen, dass mich eigentlich gar nichts mehr wundert, trotzdem schaue ich ziemlich perplex, ob sie das wirklich ernst meint? Die Spritze mit Sperma mit Gleitgel einschmieren? Wir müssen beide lachen.

Werde ich noch mal schwanger werden? Wird es gesund oder wieder eine Fehlgeburt? Wie werde ich meine Frau durch eine zweite Schwangerschaft begleiten?

Werde ich noch mal schwanger werden? Wird es gesund oder wieder eine Fehlgeburt? Wie werde ich meine Frau durch eine zweite Schwangerschaft begleiten? Wird dann alles wieder hochkommen und erst abklingen, wenn die Kinder aus dem Gröbsten raus sind und die Biologie nicht mehr so wichtig ist? Was mache ich mit den oft unbändigen Gefühlen, Neid, Wut, Schmerz? Dass Zeit vergeht tut gut, das Schreiben hier tut gut. Und klar werde ich auch ein zweites Mal bei allem dabei sein wollen und mich um alles kümmern. Heute weiß ich, dass ich wahrscheinlich sogar auch stillen könnte. Und manchmal, wenn mich mein Sohn morgens um sechs in der Küche ungeduldig anschaut, wann denn nun sein Frühstück endlich fertig ist, wenn ich ihn mittags in den Schlaf wiege oder abends bade und die Gute-Nacht-Geschichte vorlese, bin ich einfach nur dankbar und kann den Wunsch einen Moment lang loslassen.

Eigentlich hatte ich mit dem Thema so gut wie abgeschlossen und wir waren schon am überlegen, wann meine Frau wieder versuchen würde schwanger zu werden, weil wir in jedem Fall ein zweites Kind wollten. Beim nächsten Zyklus dachte ich dann aber, "Ok, draufpinkeln kann ich ja mal", auf die Ovulationstest einer Bekannten. Und siehe da, es gab einen Smiley. Unser Spenderpapa war auch für eine neue Runde bereit. Und im dritten Zyklus war ich tatsächlich schwanger, gerade als mich das ganze Auf und Ab wieder anfing, unglücklich zu machen. Bis zur Feindiagnostik in der 12. Woche haben wir niemandem von der Schwangerschaft erzählt. Dann habe ich mich immer mehr entspannt. Während der ganzen Schwangerschaft fühlte ich mich kraftvoll und fit. Und unser kleiner Sohn hat mich auch gut abgelenkt. Anfang August kam dann unsere Tochter zur Welt. Ori ist jetzt viereinhalb Monate alt, sie ist ein sehr freundliches und friedliches Baby und lächelt viel. Mit ihr ist unsere Familie komplett. Und ich bin einfach nur dankbar für alles.

Das Ende vom Anfang – Anne Pascale
Anne Pascale (42)Körpertherapeutin

Anne Pascale Stein ist Kunsthistorikerin und Körpertherapeutin. Als Projektmanagerin für die Kulturabteilung der Französischen Botschaft und die Galerie Johann König in Berlin hat sie jahrelang Künstler betreut und Ausstellungen organisiert. Vor knapp zehn Jahren kehrte sie der Kunstwelt den Rücken und machte sich selbständig. Seitdem unterstützt sie Menschen, alte Lasten loszuwerden, Ängste zu überwinden und Träume zu realisieren. Sie mag die Intensität, die das Arbeiten mit Menschen und Körpern mit sich bringt. Einmal im Monat leitet sie das Bewegungstraining „Auf der Achterbahn der Gefühle“ zum Auspowern und Auftanken für Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch.

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Mein fünftes Kind lebt

Am 01.01.2018 veröffentlicht.
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Zugenäht, aber ohne Trost

Am 01.03.2018 veröffentlicht.