An mein Sternenkind
Conny erfährt zu Beginn der achten Woche, dass ihre Schwangerschaft nicht intakt ist. Die Zeit, bis kein Herzschlag mehr zu sehen war, etwa eineinhalb Wochen später, war für sie schwer. Auch diese Phase verarbeitet sie in einem Abschiedsbrief und dokumentiert zusätzlich nochmal die einzelnen Schritte ihrer Fehlgeburt in einem Protokoll. Für sie war der Verlust schmerzhaft. Dennoch blickt sie auch hoffnungsvoll und gestärkt in die Zukunft.
Liebes Sternenkind,
du bist zwar schon seit vier Wochen weg, aber deine Spuren waren noch spür- und sichtbar, daher kann ich mich erst jetzt wirklich von dir verabschieden.
Du warst ein wunderschöner kleiner Hoffnungsschimmer für mich und zusammen mit deinem Papa habe ich mich so über dich gefreut. Wir waren vorsichtig und ängstlich wegen der so kurzen Schwangerschaft (die nur im Blut festgestellt werden konnte) vor dir, aber wir haben uns sehr über dich gefreut. Ich hatte so gehofft, dich nicht zu verlieren. Ich hatte so gehofft, dass jetzt alles gut wird. Ich hatte so gehofft, dass du meinem Leben eine Richtung gibst und mir nicht mehr so wichtig ist, ob ich „etwas aus mir machen“ muss, wenn du mal da bist.
Am ersten Tag der achten Woche, eine Woche nach dem ersten Ultraschall, bei dem wir noch keinen Herzschlag sehen konnten, am 11.09.24, war klar, dass wir dich nicht mehr lange in unserem Leben haben werden. Dass wir dich nie schreien oder lachen hören würden. Du bist innerhalb der Woche nicht gewachsen und dein Herzschlag war viel zu langsam. Fünf Wochen später habe ich dann erfahren, dass das an einer Trisomie 2 lag.
Wie bei allen Trisomien außer 21, 18 und 13 hieß das, dass du nicht lebensfähig warst. Nichtsdestotrotz hat dein Herz noch eineinhalb Wochen weiter geschlagen. Und ich habe dich dafür verflucht. Es tut mir leid, dass ich mir in den Bauch geschlagen habe, damit du endlich gehst. Es tut mir leid, dass ich dich gehetzt habe und dir nicht deine Zeit geben wollte, dein Leben in deiner Geschwindigkeit ausklingen zu lassen. Du hattest die Aussicht auf ein Leben, aber nie eine Chance. Das ist auch für dich ungerecht.
Als du dann gegangen bist, habe ich es nicht gewagt genauer hinzusehen. Ich dachte, das macht man nicht. Am 23. oder 24.09.24 bist du irgendwann zwischen Schleimhautgewebe auf die Welt gekommen. Du wurdest in einem Plastikbecher aufgefangen, in den Kühlschrank gesteckt, im Kinderwunschzentrum abgeben und bist von dort aus ins Labor zur Analyse gekommen. Heute würde ich es anders machen. Ich würde im Gewebe nach dir sehen, bevor ich dich in ein Labor abgebe. Aber alles, was ich je von dir gesehen habe, waren die Ultraschallaufnahmen.
Deinen kleinen Herzschlag werde ich nie vergessen, auch wenn das erste Mal der Anfang vom Ende war. Die Erinnerung an dieses kleine Blinken auf dem Bildschirm ist gleichzeitig bitter und wundervoll. Einerseits der Schmerz, der mich dumpf aber riesig getroffen hat, als fest stand, dass du dich nicht wie nötig entwickelt hattest und andererseits, dass Wunder, dass du überhaupt da warst. Du bist nicht ganz neun Wochen alt geworden. Ich vermisse dich sehr. Trotz meiner Wut und Verzweiflung, als ich wusste, dass ich dich nie in den Armen halten werde, aber dein Herz noch in mir schlägt, war es so schön, dich in meinem Bauch zu haben. Jetzt verblassen deine Spuren und mein Körper macht weiter. An dem Tag, an dem du die zwölfte Woche abgeschlossen hättest, hatte ich vermutlich wieder einen Eisprung und auch wenn es lange gedauert hat, ist mittlerweile alles an Gebärmutterschleimhaut aus meinem Körper raus. Sicher zeigen wird das erst die nächste Untersuchung nach meiner nächsten regulären Blutung. Dann werden wir uns auf die IVF vorbereiten und einen neuen Versuch wagen. Und auch wenn ich hoffe, doch einmal noch ein lebendes Geschwisterchen in den Armen zu halten, werde ich
deinen kleinen Herzschlag nie vergessen.
Ich bin dankbar, dass du bei mir warst. Und ich bin dankbar, dass du meinem Leben tatsächlich eine neue Richtung gegeben hast: Ich habe meinen Job gekündigt, obwohl ich noch nichts Neues habe. Ich höre auf, finanzielle Sicherheit als die wichtigste Rahmenbedingung für eine Familie zu sehen. Ich habe mehr Mut, darauf zu hören, was ich möchte und weniger darauf, was andere für vernünftig oder richtig für mich halten. Die wichtigsten Rahmenbedingungen sind für mich heute, Freude am Leben zu haben, und nicht nur irgendwann mal. Und zu wissen, was das Ziel ist, denn dann ist es auch kein Problem, bei Stau die Umleitung zu nehmen. Das hast du mir beigebracht. Und dafür bin ich dir bei allem Schmerz wirklich dankbar. Ich kann jetzt aufhören, zu zögern. Und solltest du ein großes Geschwisterchen werden, ist dir dein kleines Geschwisterchen für all das sicher auch dankbar.
In Liebe,
deine Mutter
24.07.24 0 + 0
Beginn Zyklus
01.08.24 1 + 1
Eisprung
03.08.24 1 + 3
Start Progesteron
15.08.24 3 + 1
Positiver Test und Bestätigung durch Blutwerte
04.09.24 6 + 0 (Anfang 7. Woche)
- Ultraschall, Fruchthöhle da, noch kein Herzschlag, laut Ärztin „bisschen klein“, von den
Blutwerden her alles normal, in einer Woche nochmal Kontrolle um Herzschlag festzustellen.
11.09.24 7 + 0 (Anfang 8. Woche)
2. Ultraschall, nicht gewachsen seit letzter Woche, Herzschlag auffindbar aber zu langsam, Schwangerschaft nicht intakt, HCG gestiegen, abwarten, bis Herzschlag aufhört.
16.09.24 7 + 5
immer noch Herzschlag, aber langsamer, HCG gestiegen
19.09.24 8 + 1
immer noch Herzschlag, noch langsamer, Hämatom sichtbar, „dauert nicht mehr lang“, HCG gestiegen
23.09.24 8 + 5
Herzschlag weg, HCG nur leicht gestiegen, Einnahme Cytotec, abends Beginn Blutung, erstes Gewebe aufgefangen
24.09.24 8 + 6
weiteres Gewebe aufgefangen und abgegeben
30.09.24 (9 + 5)
Ende der Blutung, aber ab jetzt immer wieder Schmierblutung mit Gewebe
02.10.24 (10 + 0)
Ultraschall Nachkontrolle, noch Gewebe vorhanden, HCG stark gefallen, nochmal Cytotec, Blutproben für Karyogramm
04.10.24 (10 + 2)
keine Blutung, nochmal Cytotec
07.10.24 (10 + 5)
wieder keine Blutung, Telefonat Ärztin: abwarten, ob Körper trotzdem in nächsten Zyklus geht und dann kontrollieren ob das restliche Gewebe bei der nächsten regulären Blutung abgeht
10./11.10.24 (11 + 1 / 2)
leichte Blutung, mehr Gewebe
14.10.24 (11 + 5)
HCG sinkt, nur noch wenig Gewebe, das auch weiter abgerutscht ist, Eizellreifung
16.10.24 (12 + 0)
wahrscheinlich Eisprung, Befund Embryogewebe: Trisomie 2
21.10.24 (12 + 5)
HCG fast weg, Eisprung hat laut Blutwerten stattgefunden, seit ein paar Tagen keine
Schmierblutungen und kein Gewebe mehr
Ich bin Autistin mit ADHS und lebe mit meinem Mann zusammen, der seit über 17 Jahren die Konstante in meinem nicht so konstanten Leben ist.