Andrea (33)Projektmanagerin

Zwischen gestern und heute

Andrea erlebte drei Fehlgeburten hintereinander. Noch nie zuvor hat sie eine so starke Trauer erlebt. Sie hat aber auch − von gesellschaftlichen Fragen bis hin zum persönlichen Verarbeiten − viele wichtige Erkenntnisse aus diesem Lebensabschnitt mitgenommen, die sie hier teilt und die auf so viele Frauen mit Fehlgeburten zutreffen.

Zwischen gestern und heute.

Gestern war meine Welt in Ordnung.
Gestern war ich voller Zuversicht.
Gestern war ich überzeugt, es wird alles gut.

Heute hat sich alles schlagartig verändert.
Heute habe ich erfahren, dass ich dich ziehen lassen muss.
Heute weiß ich nicht, was morgen bringt.

Zwischen gestern und heute liegen drei Fehlgeburten, knapp eineinhalb Jahre, unzählige Untersuchungen, eine emotionale Achterbahnfahrt, ein Spektrum voller Widersprüche.
Ein paar davon habe ich in Worte gefasst:

Zwischen Wunsch und Wirklichkeit:

Schon vor Start der Kinderwunschphase kannte ich die Statistiken. Jede dritte Frau erleidet in ihrem Leben eine Fehlgeburt. Trotz dieser Zahl, dachte ich nicht, dass es mich treffen würde. In meinem Umfeld waren Fehlgeburten zu der Zeit noch kein großes Thema oder für mich als bisher Unbetroffene nur schwer greifbar. Doch mit dem Start der „Kinderwunschreise“ veränderte sich alles. Ich wurde schnell schwanger, spürte gleich die körperlichen Veränderungen, war voller Vorfreude und bin direkt in den Planungsmodus gewechselt. Die Freude war jedoch nur von kurzer Dauer. Nach knapp zwei Wochen bin ich plötzlich mit periodenähnlichen Schmerzen und einer Blutung aufgewacht. Unterbewusst wusste ich es gleich: „Ich habe dieses Kind verloren“. Auch wenn ich es zu diesem Zeitpunkt noch nicht wahrhaben wollte. Ich bin immer davon ausgegangen, dass es mich nicht treffen wird. Warum auch? Ich war doch gesund und hatte bisher keinen Grund, von etwas anderem auszugehen. Diese erste Fehlgeburt nahm mir meine Naivität und meine Unbeschwertheit - die einer sorgenlosen Schwangerschaft. Heute, nach zwei weiteren Fehlgeburten, weiß ich, dass Fehlgeburten zum Kinderwunsch genauso dazu gehören wie normal verlaufende Schwangerschaften. Was dagegen nach wie vor fehlt, ist die Aufklärung über die Häufigkeit von Fehlgeburten sowie die gesellschaftliche Akzeptanz der Trauer der Betroffenen. Diese wird häufig immer noch zu sehr relativiert, entweder anhand der Schwangerschaftswoche, in der sie sich befanden, oder in der Annahme, dass eine erneute Schwangerschaft oder bestehende Geschwisterkinder über den Verlust hinwegtrösten werden. Was für Betroffene jedoch klar ist: Jedes dieser Kinder hat bleibende Spuren hinterlassen.

Zwischen Sprachlosigkeit und Sprachvielfalt:

Der Tod frühen Lebens ist schwer in Worte zu fassen, egal ob vom Umfeld, der Medizin oder für Betroffene selbst. In meinem Umfeld gab es zwei sprachliche Reaktionen. (1) Phrasen wie "ihr (seid ja noch jung und) bekommt sicher noch ein Kind" oder "immerhin seid ihr schnell schwanger geworden". Beides Aussagen, die mir persönlich nicht geholfen haben. Toxic Positivity, in die wir ungewollt und ohne es böse zu meinen, fallen, weil wir mit Tod und Trauer nur schwer umgehen können. (2) Reaktionen wie "Es tut mir Leid", "F***", "Mir fehlen die Worte...", die für mich passender waren, weil sie meine Trauer anerkannten und gleichzeitig Mitgefühl zeigten. Doch nicht nur meinem Umfeld fiel es schwer, die richtigen Worte zu finden. Da ich aktiv über meine Erfahrungen sprechen wollte, musste auch ich die richtigen Worte finden. Doch wie? (Missed) Abort hörte sich für mich zu medizinisch an, Abgang zu hart und kleine Geburt beschreibt für mich eher den körperlichen Prozess, wenn keine Kürettage / Ausschabung (noch einer dieser unpassenden gynäkologischen Begriffe) durchgeführt wird, sondern der Embryo auf natürlichem Weg auf die Welt kommt. Somit blieb nur noch Fehlgeburt. Ein Begriff, der für mich zunächst das Wort Fehler zu sehr hervorhebt und damit die Schuldfrage aufwirft. Bis ich gelesen habe, dass das „Fehl“ auch im Sinne des „Fehlens“ interpretiert werden kann. Dadurch wurde es für mich zum passendsten Begriff. Was alle drei Male gefehlt hat, war das Kind, auf das wir uns schon so sehr gefreut hatten.

Zwischen Klarheit und Ungewissheit:

Nach der zweiten Fehlgeburt, zwei Zyklen nach der ersten, habe ich gespürt, dass etwas nicht stimmt und wollte den Ursachen auf den Grund gehen. In Deutschland wird dieser Prozess aus medizinischer Sicht in der Regel erst nach der dritten Fehlgeburt in Folge angestoßen. Eine Tatsache, die vor mir leider immer wieder betont wurde. Gleichzeitig auch ein weiteres Zeichen, dass die mit Fehlgeburten verbundene Trauer und Suche nach Antworten noch nicht ausreichend genug von Gesellschaft und Medizin beachtet wird. Ich wurde dennoch behandelt und bin dafür sehr dankbar. Zyklusbedingt zogen sich diese Untersuchungen über mehrere Monate. Am Ende wurden drei Faktoren bei mir gefunden, die zu den Fehlgeburten geführt haben könnten. Etwas Klarheit, etwas Perspektive. Ich bekam mehrere Medikamente verschrieben und hatte einen neuen Fahrplan. Ich wurde wieder schwanger, war voller Hoffnung, verlor den Embryo jedoch erneut binnen Wochen. Nun war ich offiziell Teil des exklusiven Clubs der 1% - Frauen mit habituellen Aborten. Ein Club, für den ich mich nie beworben hatte. Es folgten mehrere Untersuchungen. Weitere Wochen der Ungewissheit und des Stillstands, die meine Resilienz auf den Prüfstand stellten. Während ich ungeduldig auf die Ergebnisse wartete und den Kinderwunsch vorerst „on hold“ setzte, wurden zeitgleich in meinem Umfeld mehrere Schwangerschaften verkündet. Manchmal feinfühlig, manchmal weniger bedacht. Geschmerzt hat beides. Letztendlich konnte nur für die dritte Fehlgeburt eine klare genetische Ursache gefunden werden. Ungewissheit ist und bleibt somit meine Begleitung und die vieler anderer Frauen auf einer Reise, die so ganz anders als geplant verlief.

Zwischen Trauer und Dankbarkeit:

Wenn mich jemand fragen würde, ob ich die Ereignisse der vergangenen eineinhalb Jahre ungeschehen machen würde, meine Antwort wäre ein klares Nein. Noch nie habe ich so eine tiefe, schwer zu beschreibende Trauer erlebt. Ich wollte alle Emotionen bewusst spüren, auf keinen Fall verdrängen, damit sie mich später nicht unverhofft einholen. Ich habe geweint, wann immer ich musste, gelacht, wenn ich konnte, habe den körperlichen Schmerz als Teil des emotionalen Abschieds angenommen, egal ob bei der natürlichen Abblutung in der 5. SSW, der kleinen eingeleiteten Geburt in der 10. SSW oder nach der Kürettage in der 9. SSW. Gleichzeitig habe ich aber auch noch nie eine solche Dankbarkeit empfunden. Dankbarkeit, dass ich, wenn auch nur zeitlich begrenzt, das Zuhause dieser Kinder sein durfte. Dankbarkeit, dass ich viel über mich selbst gelernt habe: was mich stärkt, wer / was mir guttut, wer / was nicht. Dankbarkeit für mein enges Umfeld, welches eine große Unterstützung in diesen Zeiten war sowie für das medizinische Personal, welches mich in dieser Ausnahmesituation betreut hat. Aber allem voran: Dankbarkeit für alle Frauen, die ihre Geschichten hier oder anderweitig öffentlich geteilt haben und damit mir und gewiss auch vielen anderen Betroffenen Trost in einer schweren und vor allem einsamen Zeit geschenkt und den Mut gegeben haben, die eigene Geschichte zu teilen.

Heute vergeht nach wie vor kein Tag, an dem ich nicht an euch denke.
Heute weiß ich immer noch nicht, was morgen bringt.
Heute weiß ich aber, dass ich neugierig und stark genug bin, um es herauszufinden.

Nach ihren drei Fehlgeburten hat Andrea einen Sohn bekommen.

Das Ende vom Anfang – Andrea
Andrea (33)Projektmanagerin

Ich arbeite hauptberuflich als Projektmanagerin und nebenberuflich als Fotografin. Kraft schöpfe ich in der Natur, beim Fotografieren, bei DIY-Projekten, beim Lesen eines guten Buches, auf der Yogamatte oder beim Deep Talk mit meinen Liebsten.

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