Ein kleiner Schrimp mit Augen
Lisa erleidet in der 10. SSW eine Fehlgeburt mit viel Blut mitten auf der Hochzeit eines befreundeten Paares. Im Krankenhaus in der Nähe wird der Abort festgestellt. Die behandelnde Ärztin will eine Kürretage vornehmen. Doch Lisa entscheidet sich dagegen. Sie fährt nachhause, in eine weitere Klinik, wo ihr die Ärztin rät, abzuwarten. Das tut sie und erlebt eine selbstbestimmte kleine Geburt, die ihren Blick auf den Verlust und sich selbst verändert.
Als ich den positiven Schwangerschaftstest im vierten Versuchszyklus in der Hand hielt, konnte ich meinen Augen nicht trauen. Ich habe direkt einen zweiten gemacht. Ebenfalls positiv. Die ganzen Ängste und Fragen, ob ich überhaupt schwanger werden kann, waren wie weggeblasen. Diese vier Monate kamen mir schon wie eine Ewigkeit vor. Als ich es meinem Mann sagte, standen ihm die Tränen in den Augen. Wir waren gerade am Umziehen in unser Haus. Unserem neuen Zuhause. Alles schien perfekt.
Zu den Arztbesuchen begleitete er mich. Gemeinsam konnten wir das flimmernde Herzen des kleinen Wesens sehen und mir liefen vor Glück die Tränen herunter. Das war in der 7. SSW. Die Frauenärztin stellte mir einen Mutterpass aus und sagte „Herzlichen Glückwunsch“.
Ich streichelte meinen Bauch, ich las mir jeden Tag durch, was da Unglaubliches in meinem Körper passierte. Ich legte süße Artikel in meinen Warenkorb, meldete mich auf Mama-Plattformen im Netz an und träumte von der Zukunft. Wir teilten nach dem Termin auch meinen und seinen Eltern die freudige Nachricht mit.
Ganz ehrlich? Ich spürte es. Es fühlte sich komisch an. Ich hatte Angst. Begann mir mehr, zum Thema Fehlgeburten durchzulesen als zu Geburt. Als hätte ich eine Ahnung gehabt. Ich war etwas erkältet, deswegen war ich die Woche krank gemeldet. Ich hatte ein ungutes Gefühl, also rief ich die Frauenärztin an. Doch diese hatte Urlaub. Vielleicht war das ein Zeichen, abzuwarten. Ohnehin hatte ich eine Woche später einen Kontrolltermin.
Dann kam der Tag. Wir waren auf eine Hochzeit eingeladen. Der Bräutigam war schon von einer Traube Menschen umgeben und aufgeregt, gleich seine Braut zu heiraten. Wir umarmten ihn und er bedankte sich, dass wir gekommen waren. Da lief mir etwas das Bein hinunter. Egal, ich hatte schon die ganze Schwangerschaft starken Ausfluss und war jedes Mal panisch. Jetzt war ich doch schon 9+4, also 10. SSW.
Wir umarmten noch ein paar Freunde und Kollegen. In einer ruhigen Sekunde fühlte ich unter mein Kleid, zog die Hand hervor und sah auf meine blutrote Hand. Voller Schock starte ich sie an, noch immer mitten unter den Menschen, nur weggedreht. „Schatz?“, konnte ich nur hervorpresen und sah ihn an. Er starte auf meine Hände. Ich zog nun das Kleid vorn hoch. Meine Strumpfhose war mit Blut gefärbt und es tropfte schon durch. Er nahm mich am Arm und wir gingen Richtung Auto.
In meinem Körper gingen so viele Gedanken und Emotionen durch, ich bekam keine Luft und meine Tränen schossen mir schmerzhaft in die Augen. Immer wieder mussten wir stoppen. Die fehlenden Hochzeitsgäste kamen uns entgegen. Keiner hat sich getraut etwas zu fragen. Gott sei Dank. Mein Mann suchte panisch den Chip vom Parkhaus. Ich versuchte, ihn zu beruhigen. Wir hatten alle Zeit der Welt. Ich wusste, dass mein Baby bereits tot war. Ich wusste, dass man daran nichts mehr ändern konnte. Egal. ob er jetzt den Parkschein findet oder wir eine andere Lösung suchen müssen. Das war zu viel Blut.
Er fand ihn. Wir fuhren in das nächste Krankenhaus. Ich zog meine Pumps aus und stiefelte im Abenkleid und barfuß in die Notsufnahme. Die Dame am Thresen sah mich an. „Ich glaube, ich hab mein Kind verloren“. Ich hab es das erste Mal ausgesprochen, die Tränen schossen mir ins Gesicht, sie schickte mich direkt zur Krankenhaus-Gynäkologin. Die nahm mich direkt mit in ein kleines dunkles Zimmer. Mein Mann sollte unterdessen meine Versichertenkarte zur Annahme bringen.
Normalerweise muss das Kleine zappeln in der Woche. Aber auf dem Ultraschall war es ruhig, nichts bewegte sich. Sie stupste ein paar mal dagegen. Auch mein Mann kam jetzt rein. Ich sah ihn an und schüttelte den Kopf. „Es tut mir leid, ich kann keinen Herzschlag sehen“ sagte die Gynäkologin und bat mich, mich aufzurichten. Ich war wie gelähmt. Sie war lieb und einfühlsam. Aber sie wollte sofort eine Ausschabung machen, weil der Embryo schon so groß war. Das sei ein Routineeingriff und ich solle mir keine Sorgen machen. Ich kann nichts dafür und es ist fast schon „normal“, dass so etwas vorkommt.
Ich wollte nach Hause, nicht irgendwo hier direkt operiert werden. Also fuhren wir in die Heimat zurück. Dort in das Krankenhaus. Mein Mann fuhr im absoluten Autopilot, wir sprachen kein Wort. Ich konnte nur weinen. Mein Kopf tat weh und mir war schlecht. In der Notaufnahme wurden wir sehr schnell aufgenommen, die junge Ärztin nahm sich viel Zeit. Zuerst klärte sie mich auf, dass dies leider nichts Seltenes ist. Dass sie gleich selbst nachschaut, aber wenn die erste Diagnose stimmt, müssen wir nicht sofort ausschaben.
Sie erklärte mir, dass es drei Methoden gibt. Die eine sei die Ausschabung, die schlimmer klingt, als es ist. Die Methoden sind besser geworden und eine innere Verletzung unwahrscheinlich. Die zweite wäre es, mittels Medikamenten eine Geburt einzuleiten. Die dritte Methode, und dazu würde sie mir raten, ist abwarten. Dadurch dass die Blutung schon eingesetzt hat, dürfte es nicht lange dauern, bis der Embryo alleine rauskommt.
Dann erst sah sie nach, sie bestätigte dasselbe wie die andere Ärztin. Nur sagte sie, dass das Baby im Stand 7+4 stehen geblieben ist, 8. Woche. Ich hatte also recht. Zwei Wochen war unser Kleines schon nicht mehr wirklich da. Ich wusste, dass etwas nicht stimmte. Als wir den Eltern von meinem Mann die Schwangerschaft verkündet hatten, war sie schon nicht mehr intakt. Die Ärztin nahm noch Blut ab und gab mir ein Rezept für starke Schmerzmittel.
Dann verließen wir das Krankenhaus und fuhren heim in unser neues Zuhause. Da, wo das Kinderzimmer schon eingeplant ist.
Am nächsten Morgen wachte ich auf. Völlig verklebte Augen. Ich musste aufs Klo. Dann ein Drang, kurz zu “drücken“. Ich spürte, wie etwas Großes kam und hielt Klopapier unter mich. Und da kam es heraus. Das Ei mit sehr viel Rest… und darin… ein kleines mini Shrimp. Ich konnte sehen, wie es eingerollt war und die kleinen schwarzen Punkte waren die Augen. Ich schrie nach meinem Mann. Unsicher, ob er das überhaupt sehen wollte. Er wollte. Zwar nicht so nah und genau wie ich, aber er wollte mir beistehen. In einer kleinen Schachtel vergruben wir das kleine Shrimp in unserem Garten. Hier möchte ich bald einen Rosenbaum pflanzen.
Nun hoffe ich, bald wieder schwanger zu werden, und ein gesundes kleines Regenbogenbaby zu bekommen.
So hart und beschissen diese ganze Erfahrung war, so hat sie mich meinem Körper näher gebracht. Ich bin nicht sauer, ich bin nur traurig. Irgendwas muss schief gelaufen sein, das tut mir unendlich leid, aber ich hatte mich gesund ernährt und auf mich geachtet. Ich kann nichts falsch gemacht haben, auch wenn ich immer wieder danach suche. Mein Körper hat höchstens etwas falsch gemacht, aber er hat alles ausgespült. Alleine. Ich bin niemandem etwas schuldig, außer meinem eigenen Körper, denn er war für mich da und hat mich ohne große körperliche Schmerzen da durch gebracht. Ein paar Tage später hatte ich schon wieder meinen Eisprung. Auch wenn ich da noch keinen neuen Versuch starten konnte und wollte. Mein Zyklus hat sich sofort normalisiert.
Ich habe mich so ganz neu kennen gelernt.
Ich bin Lisa, 25, verheiratet und Bürokauffrau.