Ein Gefühl von Ertrinken.
Fabienne ist bereits Mutter. Wie bei der ersten Schwangerschaft freut sie sich besonders auf die Pränataldiagnostik. Leider bekommt sie hier mitgeteilt, dass ihr Kind nicht mehr lebt − in Woche 12+0. Sie entscheidet sich daraufhin in enger Absprache mit ihrer Hebamme für eine Kürettage.
Anfang Dezember hielt ich den positiven Schwangerschaftstest in den Händen. Es war kurz vor Weihnachten und als ich auf den Test pinkelte, wagte ich kaum zu hoffen, wieder schwanger zu sein. Schon bei unserem Sohn brauchten wir viel Geduld, bis es endlich klappte. In meinem Empfinden immer sehr viel länger als bei den anderen, die ich kannte.
Die Wochen vergingen und ich wartete auf diese tiefe Vorfreude, auf eine Verbindung zu diesem kleinen Wesen, das in mir wuchs. In der 8. Woche streckte mich eine fiese Influenza-Grippe nieder. Der Alltag und anrollende Erkältungswellen hatten unsere kleine Familie fest im Griff. Ich fühlte mich nicht gut mit der ständigen, leichten Übelkeit und Erschöpfung, der Arbeit und den anderen Verpflichtungen. Ich hatte zwischenzeitlich einige Freundinnen eingeweiht und ihnen erzählt, dass ich selten solch eine anstrengende Phase in meinem Leben hatte. Wenn dieses kleine Wesen sich entscheiden sollte, nicht zu bleiben, dann wüsste ich nicht, ob ich nochmal in der Lage wäre, eine Schwangerschaft durchzustehen.
Mitte Februar, an einem Montag, kam endlich der Termin zur Pränataldiagnostik. Am Wochenende zuvor hatte ich eine kleine Schmierblutung festgestellt. Und am Abend vor dem Termin sagte ich wieder und wieder zu meinem Mann: „Ich weiß nicht, ich glaube, mein Bauch müsste schon größer sein. Ich glaub, da stimmt was nicht.“ Ich hoffte so sehr, dass die Ärztin in der Lage wäre, meine Sorgen wegzuwischen. Ich wollte doch endlich diese Verbindung spüren, diese allumfassende Liebe. Ich wollte endlich Lust haben, meinen Bauch einzucremen, wieder Literatur zu wälzen und mich vielleicht endlich beim Pränatal-Yoga anmelden.
Bei meinem Sohn, vier Jahre zuvor, hat mich die Pränataldiagnostik am meisten beeindruckt. Der hochauflösende Ultraschall sorgte dafür, dass ich das Gefühl hatte, mein Kind wurde mit jeder Bewegung, die ich gespannt auf dem Bildschirm verfolgen konnte, realer. Es hatte Ärmchen und Beinchen, eine kleine Stupsnase und er bewegte sich so aufgeweckt. Am Ende des Besuchs waren er und ich ein unschlagbares Team. Auch deshalb legte ich so viel Hoffnung hinein und freute mich auf die Bilder. Vor vier Jahren konnte mein Mann wegen seiner Corona-Erkrankung nicht dabei sein. Ich erzählte ihm wieder und wieder, was ich damals gesehen hatte und lies den Gedanken nicht los, dass dieser Besuch emotional den entscheidenden Unterschied machen würde. Ich sollte recht behalten.
In dem Moment, als die Ärztin den Ultraschallkopf auf meinen Bauch legte, war alles da. All diese Liebe, diese tiefe Verbundenheit und für Millisekunden auch eine riesige Vorfreude. Da waren sie, die Ärmchen und Beinchen und das Stupsnäschen. Wie schon vier Jahre zuvor. Nur bewegte sich nichts. Und dann blieb die Welt stehen. In meiner Brust formte sich ein Kloß. Ich sah zur Ärztin und sie sagte: "Es tut mir so leid, ich habe keine guten Nachrichten für Sie. Es gibt keinen Herzschlag." Mein Mann neben mir war kreidebleich und starr vor Schock. Ich hatte Angst, er würde umkippen. Ich versuchte, die Fassung zu bewahren und fragte nur: „Wie lange schon?“ Die Ärztin nahm Maß und schätze, dass das Kind vor fünf Tagen aufgehört hatte zu leben. Bei 12+0 also. So spät.
Wir bekamen ein paar Minuten der Ungestörtheit und zwei Wassergläser. Tränen liefen über unsere Gesichter. Wir hielten uns fest. Dann ging alles ganz schnell. Die Ärztin kam wieder ins Zimmer, sagte aber nichts, also fragte ich irgendwann: „Was geschieht denn jetzt, muss ich in die Klinik?“ Ich wurde nicht über andere Optionen aufgeklärt, es wurde uns lediglich zugesichert, dass sich die Praxis um einen Termin zur Kürettage kümmern wird. Wir nahmen unsere Jacken und gingen. Draußen lagen wir uns in den Armen, zuhause brachen alle Dämme.
Es folgte ein Zustand in Trance. Ich versuchte, zu verstehen, ich googelte meine Optionen und wurde immer unsicherer. Mein größtes Glück in diesem unwirklichen Zustand war meine Hebamme, die mir mit all ihrer Wärme zur Seite stand und mich über die verschiedenen Möglichkeiten aufklärte. Meine 1. Geburt war nicht sonderlich gut verlaufen und ich fühlte mich nicht in der Lage, vollgepackt mit diesem erdrückenden emotionalen Schmerz, auch noch mit den körperlichen Schmerzen einer kleinen Geburt umgehen zu können. Es fühlte sich an, als würde ich ertrinken.
Mein Mann funktionierte. Er versorgte unseren Sohn und arbeitete. Ich verkroch mich im Bett und weinte. Irgendwann äußerte er, dass er trotz des Verlusts seines geliebten Opas noch nie so traurig in seinem Leben gewesen war. Irgendwie gab mir diese Äußerung Halt. Er trauerte also auch, wenngleich anders als ich. Nach zwei sehr gefühlsintensiven Tagen und einem Gedankensumpf bestehend aus nagender Schuld, Zweifeln und kaum auszuhaltender Traurigkeit folgte am Mittwoch die Kürettage.
Beim Kontrolltermin bei meiner Frauenärztin eine Woche später erhielt ich die Nachricht, dass eventuell nochmals eine OP nötig sei. Der Arzt hatte wohl behutsam gearbeitet, aber es sei noch zu viel Gewebe da. Es war ein nicht enden wollender Albtraum. Ich konnte nicht mehr. Die Ärztin verschrieb mir Tabletten. Auf dem Weg von Apotheke zu Apotheke und nach zahlreichen mitleidigen Blicken der Mitarbeitenden beim Anblick des Rezepts verfluchte ich die gesamte Männerwelt. Nie würde sie nachvollziehen können, was dies für ein Kreuzgang war.
Wieder unterstützte mich meine Hebamme. Sie brachte mir Tee und ein Senfmehl-Fußbad vorbei und besprach die angemessene Dosis der Tabletten mit mir. Die erwartete Sturzflut blieb aus. Am Tag vor der nächsten Kontrolle wachte ich nachts mit einem stechenden Schmerz auf. Ich wurde fast ohnmächtig. Am Morgen verabschiedete sich noch einmal sehr viel Gewebe. Die Kontrolle zeigte dann: „Alles überstanden“.
Vielleicht ging alles zu schnell, vielleicht hätten wir mehr Zeit gebraucht. Ich weiß es noch nicht. Gut aufgeklärt und verstanden fühlte ich mich in den letzten Wochen nur von meiner Hebamme. Erst nachdem nun mein Körper die Schwangerschaft abgeschlossen hat, fühle ich mich richtig in der Lage zu trauern und loszulassen. Auf unserem Balkon haben wir jetzt ein kleines Beet mit Wiesenblumen. Mein Mann spielte Gitarre, als ich die Erde auf das Saatpapier erteilte, auf das wir unsere Abschiedsworte geschrieben hatten. Es war eine liebevolle kleine Zeremonie. Unser Ort der Trauer und der Erinnerung.
Unter all dem Schmerz keimt nun auch ein kleines Pflänzchen der Gewissheit, es nochmal versuchen zu wollen. Es wird sicher Zeit brauchen und die Sorge wird uns von jetzt an immer begleiten. Aber dieser Verlust hat mir gezeigt, wie sehr ich liebe, was wir schon haben und wie gerne ich die Strapazen nochmals auf mich nehmen möchte, um hoffentlich eines nicht allzu fernen Tages ein kleines Baby nicht nur im Herzen zu tragen, sondern auch in die Arme schließen zu können.

Ich liebe Deep-Talk, Korsika und alte Bauernhäuser. Am liebsten esse ich das selbst gekochte Shahi Paneer meines Mannes.