Judith (33)Pressereferentin

Interview: "Ich habe nicht gedacht, dass ich in meinen Alltag zurückkehren kann."

Judith ist sportlich und ernährt sich gesund. Das Risiko einer Fehlgeburt war ihr bewusst, gerechnet hatte sie nicht damit. Dann aber hatte sie eine Fehlgeburt in der 12. Woche, und entschied sich für eine Behandlung mit Tabletten.

Hattest du je mit einer Fehlgeburt gerechnet?

Nein, ehrlich gesagt nicht. Mir bzw. uns, meinem Mann und mir, war bewusst, dass die ersten drei Monate kritisch sind, darum haben wir auch erstmal kaum jemandem von der Schwangerschaft erzählt. Trotzdem haben wir von dem ersten Moment an Pläne geschmiedet, Bilder im Kopf gehabt und geglaubt, dass alles gut werden würde. Ich hätte ehrlich nicht gedacht, dass es mich trifft - ich bin sportlich, gesund, ernähre mich gut und habe mich gut gefühlt und optimistisch gedacht.

Wie und wann hast du davon erfahren?

Ich war in der 10. Woche, als ich mittags ganz leichte Schmierblutungen hatte, wirklich minimal. Ich weiß noch, dass ich mich an dem Tag komisch gefühlt habe, ich kann es nicht richtig konkretisieren, aber irgendwie hatte ich ein merkwürdiges Gefühl im Bauch. Vielleicht bin ich auch deswegen sofort zu meiner Ärztin gefahren. Als ich dort war, habe ich - trotz des komischen Gefühls - noch gedacht, dass sie mir gleich sagt, dass alles in Ordnung ist, immerhin hatte ich erst eine Woche vorher das erste Mal den Herzschlag gesehen.

Wie haben die Ärzte in diesem Augenblick reagiert?

Sehr gut. Meine Ärztin war sehr ruhig, hat mir alles gut erklärt und war sehr einfühlsam. Ich konnte am nächsten Tag nochmal bei ihr anrufen und sie hat mir alles nochmal erklärt, weil ich im ersten Moment noch so unter Schock stand, dass ich das Gesagte gar nicht richtig begreifen konnte.

Was waren die medizinischen Schritte danach?

Meine größte Angst war, ins Krankenhaus zu müssen und eine Ausschabung vornehmen lassen zu müssen. Meine Ärztin hat mir drei Optionen genannt - auf einen natürlichen Abgang zu warten, Tabletten zu nehmen, die die Wehen einleiten oder eine Ausschabung. Ich habe mich für den Weg mit den Tabletten entschieden und zum Glück haben sie auch schnell gewirkt und es gab keine Komplikationen. Trotzdem habe ich mich furchtbar gefühlt. Die Tabletten zu nehmen, auf Wehen zu warten und nicht zu wissen, wie sich das, auf das man wartet, anfühlt, fand ich furchtbar. Zum Glück hatte ich keine starken Schmerzen und auch die Blutungen haben nach wenigen Tagen aufgehört.

Wem hast du davon erzählt?

Erst wollte ich es nur denen erzählen, die von der Schwangerschaft wussten - zwei Freundinnen und unseren Eltern. Dann habe ich mich aber entschieden, es den Menschen zu erzählen, die mir nah sind. Unsere Freunde und unsere Familien haben sehr einfühlsam und toll reagiert, dafür bin ich sehr dankbar.
Ich habe das große Glück, ein tolles Team bei der Arbeit zu haben und konnte es sogar dort erzählen. Manche mögen das komisch finden, aber für mich war es wichtig, da ich mich nicht verstellen wollte. Ich bin generell ein sehr fröhlicher und offener Mensch und jeder der mich kennt, hat gemerkt, dass etwas nicht in Ordnung ist. Ganz wichtig war für mich auch, mit einer Hebamme zu sprechen. Von einer Freundin hatte ich den Kontakt zu einer wunderbaren Hebamme, die sehr viel Trauerbegleitung macht. Mit ihr zu sprechen, hat mir unglaublich geholfen und ich kann jeder Frau, die sowas erlebt, nur raten, die Hebammenbetreuung (auf die man nach einer Fehlgeburt das Recht hat) in Anspruch zu nehmen.

Welche Reaktionen von anderen hast du erfahren?

Unser Umfeld hat wirklich sehr sehr gut reagiert. Natürlich merkt man, dass es dem einen leichter und dem anderen weniger leicht fällt. Manche haben versucht, mich mit dem Satz „es wird bald schon wieder klappen“ aufzubauen - was gut gemeint war, mich in dem Moment aber nicht getröstet hat, da ich um das Kind getrauert habe, das ich verloren habe. Am meisten geholfen hat es mir, dass meine Freunde einfach zugehört haben.

Wie bist du mit dem Verlust umgegangen?

Ich war unendlich traurig. In den ersten Tagen habe ich sehr viel geweint und wollte kaum jemanden um mich haben außer meinen Mann. Ich hab gedacht, dass ich nicht in meinen Alltag zurückkehren kann, aber dann habe ich doch nach einer Woche wieder angefangen, zu arbeiten und es hat mir gut getan. Hätte ich meinen engsten Kollegen nicht davon erzählt, wäre es sicherlich schwerer gewesen. Was mir auch gut getan hat, war, dass mein Körper die Fehlgeburt recht gut „weggesteckt“ hat. Das hat mein Vertrauen in ihn wieder gestärkt.

Hast du dir je Hilfe bei einem Kinderwunschzentrum gesucht?

Nein.

Wie habt ihr die Fehlgeburten als Paar durchgestanden?

Wenn ich aus der unglaublich traurigen Erfahrungen etwas Positives ableiten kann, dann dass es uns als Paar noch stärker gemacht hat. Mein Mann hat mir unglaublich viel Kraft gegeben, war für mich da und hat auch seine eigene Trauer zulassen können, was ich sehr wichtig fand. Wir haben viel zusammen geweint, geredet und irgendwann wieder angefangen zusammen zu lachen, anfangs ganz vorsichtig und vielleicht auch mit einem schlechten Gewissen. Das Wichtigste war aber, dass sich keiner von uns zurückgezogen hat, sondern wir beide unsere Gefühle zugelassen geteilt haben.

Warum erzählen deiner Meinung nach so wenige Frauen von ihren Fehlgeburten?

Ich denke, es ist immer noch ein Tabuthema. Wie gesagt, ich hätte auch nie gedacht, dass es mir passiert, wo ich doch so gesund lebe, Sport mache etc. Ich denke, es braucht für alles „role models“ - auch bei so einem Thema, Frauen, die sich trauen, darüber zu sprechen und zeigen, es kann eben jeder Frau passieren, egal wie gesund, erfolgreich usw. Darum finde ich solche Seiten wie diese auch so wichtig! Ich habe in den ersten Wochen permanent nach Berichten von Frauen gesucht und habe jeden Artikel verschlungen, weil es mir das Gefühl gegeben hat, nicht alleine zu sein damit.

Dazu kommt, dass man überall liest und hört, dass man in den ersten drei Monaten nicht über die Schwangerschaft sprechen sollte und dann ist es umso schwerer, über den Verlust zu sprechen.

Dazu kommt, dass man überall liest und hört, dass man in den ersten drei Monaten nicht über die Schwangerschaft sprechen sollte und dann ist es umso schwerer, über den Verlust zu sprechen. Dabei ist reden so so wichtig! Ich habe über eine Freundin eine Bekannte kennengelernt, die das Gleiche durchgemacht hat und mit ihr zu sprechen hat mir so gut getan. Freunde und Familie können für einen da sein, einem Kraft geben und liebe Worte finden, aber mit jemanden zu sprechen, der das Gleiche erlebt hat und den Schmerz kennt, das ist was ganz anderes.

Was würdest du einer Frau sagen, die erst kürzlich eine Fehlgeburt erlitten hat?

Auf jeden Fall mit einer Hebamme zu sprechen - das kann so wohltuend sein, einfach zu reden, zu weinen und über die eigenen Ängste zu sprechen. Und generell zu sprechen. Ob mit dem Partner, der Familie oder mit Freunden. Ich war überrascht und auch ein bisschen schockiert, wie viele Frauen in meinem Bekanntenkreis das Gleiche erlebt haben oder jemanden kennen, der es erlebt hat. Ich habe mich anfangs so einsam gefühlt mit meiner Trauer, und darüber zu sprechen, hat mir geholfen, die Einsamkeit zu überwinden.

Nach einer zweiten Fehlgeburt ist im Januar 2019 unsere Tochter zur Welt gekommen, zwei Wochen zu früh, genau wie es mir mein Bauchgefühl am Silvesterabend gesagt hat. Überhaupt konnte ich mich in dieser Schwangerschaft sehr auf meinen Bauch verlassen und irgendwie hat mich das wieder mit meinem Körper versöhnt. 

Unsere Tochter ist unser größtes Glück und ein wahrer Sonnenschein. Ich genieße jeden Tag mit ihr so sehr. Manchmal denke ich, dass vielleicht alles genau so kommen sollte, dass sie unser Baby sein sollte. Auf die Erfahrung der Fehlgeburten hätte ich sehr gut verzichten können, aber sie hat mich demütiger vor dem Leben werden lassen. 

Das Ende vom Anfang – Judith
Judith (33)Pressereferentin

Judith Roth ist 33, arbeitet als Pressereferentin und lebt mit ihrem Mann in Berlin.

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Zugenäht, aber ohne Trost

Am 01.03.2018 veröffentlicht.
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Meine Geschichte

Am 01.05.2018 veröffentlicht.