Katrin (34)Ingenieurin

Traurigkeit, tief wie nie zuvor.

Katrin hat schon eine Tochter und steht wieder voll im Job, als sie hintereinander zwei Fehlgeburten erleidet. In ihrem Bericht geht es viel um die Leere, die Frauen nach Fehlgeburten befällt, und die Traurigkeit, die einen immer wieder in Wellen überrollt.

Ich hatte schon ein paar Tage vor dem Ausbleiben der Periode Übelkeit, großen Hunger und größere Brüste. Ich kannte die Symptome von meiner ersten Schwangerschaft mit meiner nun vierjährigen Tochter. Der positive Schwangerschaftstests lieferte den Beweis in Streifenform. Ich war ganz schön aufgeregt und etwas unsicher, was nun mit zwei Kindern auf mich zukommt. Ich wollte schon immer mehrere Kinder, aber das erste Jahr mit meiner Tochter zu Hause machte mir damals emotional sehr zu schaffen, sodass ich die gewonnene Freiheit im Arbeitsleben und im Alltag wieder sehr schätzte. So schoben mein Mann und ich unseren weiteren Kinderwunsch immer wieder auf, mit Gründen wie: Hochzeiten, Kite-Urlaub, neuer Job, neue Rolle im Job. Nun sollte es jetzt aber so sein, und es sollte ganz anders werden als mit meiner ersten Tochter. Viel gleichberechtigter und integrierter in unser sonst so geliebtes buntes Leben.

Ich spürte einen Schmerz, der für mich neu war. So eine tiefe Traurigkeit kannte ich nicht.

Ich war also bereit und nahm die Übelkeit als gutes Zeichen hin. Da mich nicht mal im entferntesten der Gedanke einer Fehlgeburt streifte, tanzte ich auf dem Karneval in Köln durch den Tag und gab die ausgegebenen Biere brav an meine Freundin weiter. Auf der Rückfahrt in der Bahntoilette sah ich jedoch Blut. Ich wusste direkt, dass es mit der Schwangerschaft zu Ende war. Zu Hause angekommen, setzte ich mich auf die Couch und weinte für Stunden. Als mein Mann nach Hause kam, legte er sich zu mir. Wir hatten nur ein paar Stunden zusammen, dann fuhr er zum Biathlon. Ich blieb mit meiner Tochter allein am Wochenende und brach regelmäßig in Tränen aus. Ich wusste nicht, wie ich mit diesem Schmerz umgehen sollte. Ich spürte einen Schmerz, der für mich neu war. So eine tiefe Traurigkeit kannte ich nicht. Vor allem sagte mir mein Kopf immer wieder, dass da ja noch gar kein Kind geboren wurde. Ich sagte mir, es gibt gar keinen Grund, so traurig zu sein. Doch die Traurigkeit ging nicht weg und holte mich immer wieder in Wellen ein. Ganz unvorhersehbar in verschiedensten Momenten.

Die Frauenärztin war kühl und sagte, dass das oft passiert. Sie sagte, ich wäre in der 6. Woche ja noch gar nicht so weit gewesen. Also, kein Grund für so tiefe Traurigkeit, interpretiere ich rein. Also blieb ich im Zwiespalt der Gefühle und wollte, dass das negative Gefühl von Trauer und Leere endlich vorbei geht, weg geht und es wirklich verstanden zu haben!

Ich gab meinem ungeborenen Kind einen Platz in meinem Herzen. Ich gab meinem Herzen wieder mehr Raum und spürte, wie die Leere gefüllt wurde mit dem Zulassen des Verlustes.

Als mein Körper zurück zum Ist-Zustand gekehrt ist, war ich anscheinend erst bereit wirklich hinzuschauen und zuzulassen. Ich rief meine gute Freundin und Hypnose Coach an und nahm eine Woche Urlaub. Die Hypnosesitzung entfesselte mich! Ich weinte zutiefst und ließ endlich zu, dass ich ein Kind verloren hatte. Ich ließ zu, dass ich ab dem Tag des positiven Schwangerschaftstests erneut Mama war! Ich gab meinem ungeborenen Kind einen Platz in meinem Herzen. Ich gab meinem Herzen wieder mehr Raum und spürte, wie die Leere gefüllt wurde mit dem Zulassen des Verlustes. Ich reiste mit einer Tochter im Zug und einem zweiten Kind im Herzen zu den Polarlichtern und spürte, wie meine Energie zurückkam. Das Leben wurde wieder bunt und der Alltag voller Leben.

Vier Monate später wurde ich erneut schwanger. Ich wusste, dass es diesmal klappen wird. Ich hatte etwas mehr Hunger, die Brüste und Unterleib spannten, aber sonst spürte ich wenig von der Schwangerschaft. Der Verzicht auf Alkohol zeigte meinen nahen lieben Menschen direkt, was los war. Wir freuten uns zusammen und viele Daumen waren gedrückt. Beruflich sprachen mein Mann und ich über die Verteilung nach der Geburt. Ich signalisierte meinem Chef, dass ich auch mit Baby mental voll, zeitlich vielleicht auch voll dabei bleibe. So hatte ich es mir immer vorgestellt. Ein weiteres Kind, ohne dass ich Vollzeit Mama sein muss. Ich spürte, dass jetzt die richtige Zeit ist und ich mich auf alles Kommende sehr freue.

Eines Morgens in der 9. Woche merkte ich morgens beim Duschen, dass meine Brüste nicht mehr spannten. Zwischen zwei Terminen im Home Office am gleichen Tag ging ich auf die Toilette und sah wieder Blut. Im nächsten Termin weinte ich, es war zum Glück mit einer tollen Kollegin und wir einigten uns darauf, erstmal abzuwarten. Trotzdem ging der Rest des Tages gefühlt nur als Film an mir vorbei. Diesmal ging ich am nächsten Morgen unter Tränen direkt zum Frauenarzt, da ich an dem Tag nach München auf Dienstreise wollte. Plötzlich stand eine neue Ärztin vor mir. Sie sagte nur, ich bin jetzt hier die Neue und nahm mich direkt auch ohne Termin vor allen anderen dran. Sie untersuchte mich. Die Fruchthöhle war schon tief gewandert.

Sie sprach ihr tiefstes Beileid aus und bestätigte meine Vermutung: das Kind lebte nicht. Ich war wie eingefroren und spürte nur Leere. Diese wunderbare neue Ärztin klärte mich total lieb über alles auf, was passieren konnte. Ihr und mir war klar, dass nur ein natürlicher Abgang für mich in Frage kam. Ich verstand nicht, was passiert ist, obwohl ich es doch schon mal erlebt hatte. Ich ging wie geplant auf Dienstreise und war froh, erstmal funktionieren zu dürfen. Es blutete nur wenig und ich machte ruhig.

Auf dem Parkplatz beim Rewe passierte es. Ich hatte noch stärkere Schmerzen. Das Kleine kam in stiller Geburt zur Welt.

Am Wochenende machten wir alles wie geplant, Gartenparty bei einem sehr guten Freund, baden an schönen Seen und Camping. Ich kuschelte so viel mit meiner Tochter wie eh und je, aber irgendwie auch wie nie zuvor. Vor der Gartenparty gingen wir einkaufen. Auf dem Parkplatz beim Rewe passierte es. Ich hatte noch stärkere Schmerzen. Das Kleine kam in stiller Geburt zur Welt. Zum Glück hatten wir einen Camper! Mein Mann, Tochter und ich starrten auf das, was da in meinen Händen lag. Ich erkannte die Fruchthöhle und darin die Umrisse des Kindes, die Plazenta war noch dran. Es war faszinierend und wir machten ein Foto. Ich musste lachen, wie wir da auf dem Rewe Parkplatz standen und im nächsten Moment war ich einfach sehr still.

Ich spürte eine Erleichterung und eine Leere. Die Leere, die ich von der letzten Fehlgeburt kannte. Bis dahin dachte ich es ist beim zweiten mal Fehlgeburt leichter. Das war nicht der Fall. Die nächsten Tage gingen einfach an mir vorbei. Ich sah immer wieder das kleine Gebilde in meinen Händen vor mir. Wir haben es im Garten begraben und eine Schmetterlingsfigur an die Stelle gesetzt. Als die Frauenärztin mich erneut sehen wollte, spürte ich, wie es über mich kam. Die Traurigkeit, Hilflosigkeit und dieser existentielle Schmerz, wie ich ihn nun schon kannte.

Ich wurde krank geschrieben und nahm mir eine Woche Zeit, traurig sein zu dürfen, wenn immer die Welle über mich kam. Mein Mann hatte es schneller verarbeitet und war mein Halt. Freundinnen und Arbeitskolleginnen waren sehr mitfühlend und ich spürte, wie Teilen und darüber sprechen mir half. Die Wellen wurden kleiner und weniger intensiv. Ich setze mich wieder in den Zug mit einer Tochter neben mir und diesmal zwei weiteren in Herzen.

Ich habe gelernt, das Leben wie eine EKG-Lebenslinie zu sehen. Es gibt positive und negative Ausschläge, das macht unser Leben aus. Die Gefühle des Hochs sind nur so intensiv, wie wir die Gefühle des Tiefs zulassen. Ich hätte nie damit gerechnet, dass bis zum heutigen Tag meine Fehlgeburten meine zwei tiefsten Ausschläge sein werden.

Das Ende vom Anfang – Katrin
Katrin (34)Ingenieurin

Ich bin Katrin und bin Ingenieurin. Ich baue Ladeinfrastruktur für Elektroautos auf. Ich bin 34 Jahre alt. Ich liebe Sport und Reisen. Mit gibt meine kleine Familie aber auch meine Freunde und meine Arbeit Halt.

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Stille Geburt mit Hindernissen

Am 27.06.2023 veröffentlicht.
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Wir haben verloren: den Kampf, euch.

Am 19.09.2023 veröffentlicht.