Wir haben verloren: den Kampf, euch.
Veronika erwartet Zwillinge, als ihr im 2. Trimester mitgeteilt wird, dass ein Kind nicht genug versorgt ist: "Feto-Fetale-Transfusionssyndrom". Zuvor hatte sie schon Blutungen durch ein Hämatom. Aber nunmehr beginnt der absolute Horror, an dessen Ende sie beide Kinder in der 22. Woche verliert.
Mitte Dezember letzten Jahres, wenige Tage vor meinem dreißigsten Geburtstag, und somit auch wenige Tage vor Weihnachten hielt ich einen positiven Schwangerschaftstest in den Händen. Die Schwangerschaft war geplant und dennoch waren mein Partner und ich sehr freudig überfordert. Diese Überforderung nahm zu, als bereits beim ersten Ultraschall Zwillinge festgestellt wurden. Unsere Gedanken und Emotionen spielten verrückt. Natürlich unendliche Freude über dieses doppelte Glück, gleichzeitig machten wir uns automatisch Gedanken zur künftigen Organisation (Wohnung, Auto, Elternzeit). Herausforderungen, die Einlingseltern nur einfach denken müssen. Schnell haben wir uns aber diesen Fragen gestellt und sind in die Planung gegangen.
In der 9. Woche dann der erste Schock: Ich hatte plötzlich Blutungen.
Vor der 12. Woche erzählten wir von unserem Glück nur der Familie und engsten Freunden - eben jenen Menschen, deren Unterstützung wir auch im Fall eines Verlusts gut gebrauchen könnten. In der 9. Woche dann der erste Schock: Ich hatte plötzlich Blutungen. Zwischen den Weihnachtsfeiertagen, gerade als wir dem Bruder meines Partners von den Zwillingen erzählten. Panik, Schock und Überforderung. Schon wieder. Bei uns beiden. Direkt am nächsten Tag bei meiner Frauenärztin eine kleine Entwarnung: Ein Hämatom war der Auslöser und ich solle mich nun schonen, Progesteron und Magnesium. Die Blutung wurde weniger und ich erholte mich von dem Schock.
- Woche: Erneut und viel stärkere Blutungen als beim ersten Mal. Wir sind direkt in der Nacht in die Notaufnahme gefahren und mussten glücklicherweise nicht lange warten. Beim Ultraschall haben unsere beiden Mäuse synchron Daumen genuckelt und sich fleißig bewegt. Das Hämatom hatte sich aber vergrößert, daher auch die starke Blutung. Schonen und beruhigen! Die Schwangerschaftsbeschwerden (Hämorrhoiden und Übelkeit) machten mir das Leben zudem schwer und ich konnte so wenig genießen und mich beruhigen.
Zweites Trimester: Die Nackenfalte und auch andere Untersuchungen waren unauffällig und wir erleichtert, dass sich alles so gut entwickelte. Das Hämatom war zwar noch zu sehen, aber unauffällig und sollte uns nicht weiter beunruhigen.
Da wir eineiige Zwillinge erwarteten, die sich eine Plazenta teilten, wollte der Frauenarzt ebenjene Verteilung und die Versorgung beider Mäuse erneut in vier Wochen überprüfen. Wenn ich mich richtig erinnere, folgten nun die einzigen vier/fünf Wochen, in denen wir uns entspannen konnten, Pläne schmieden, noch kleinere Reisen oder Ausflüge planen. Wir informierten uns zunehmend zur Erstaustattung von Zwillingen und die richtige Vorbereitung für unser doppeltes Glück. Fünf Wochen, in denen einfach alles gut sein durfte.
Ein Zwilling bekommt zu viel, der andere zu wenig, und beide sind in großer Lebensgefahr durch diese Fehlversorgung.
18+1 SSW: Kontrolle der Plazenta. Der Schock. Bei uns wurde das "Feto-Fetale-Transfusionssyndrom" festgestellt. Überforderung. Wir sind direkt nach Hamburg zu den Spezialisten für dieses Syndrom gefahren. Kurze Entwarnung, das Syndrom ist noch nicht ausreichend fortgeschritten, sodass man noch eingreifen könne. Abwarten. Erneute Fahrt nach Hamburg. Eine Operation zum Lasern wurde angesetzt. Ein Tag vor Operation: Blutungen, erneut vom Hämatom. Operation wegen der Blutung abgesagt. Zwei Tage später die Fruchtblase der Größeren platzt.
Ein Leben in der Hölle. Leben von Stunde zu Stunde, hoffentlich passiert nichts. Worauf hoffen wir, worauf arbeiten wir hin, manchmal vergessen wir das. Wir haben keine Kraft mehr. Doch die Mäuse, unsere zwei Mädels, haben das verdient. Wir sind Eltern und können nicht abbrechen, sobald es unangenehm wird.
Drei Wochen Krankenhausaufenthalt. Wir existierten nur noch, Leben war nahezu keines mehr in uns. Mehrmals bot man uns einen aktiven Abbruch an. Die Prognosen und Aussichten waren sehr schlecht, doch nicht aussichtslos. Solange da noch ein Fünkchen Hoffnung ist, geben wir nicht auf. Das war unser Mantra. Kämpfen, kämpfen, kämpfen. Ein Leben in der Hölle. Leben von Stunde zu Stunde, hoffentlich passiert nichts. Worauf hoffen wir, worauf arbeiten wir hin, manchmal vergessen wir das.
Wir haben keine Kraft mehr. Doch die Mäuse, unsere zwei Mädels, haben das verdient. Wir sind Eltern und können nicht abbrechen, sobald es unangenehm wird. Mein Körper ist nur noch eine leere Hülle. Erfüllt von Trauer und Schmerz, wenig Hoffnung an manchen Tagen. Mein früheres Ich ist weg. Wo ist es hin? Ich vermisse es so schmerzlich. Ich will schreien, rennen fliehen und LEBEN. Doch all das geht nicht, wird unterdrückt. Ich muss mich schonen, aufpassen. Ich schlafe kaum, beobachte meinen Körper, analysieren jedes Ziehen. Kann den Geruch des ständig abgehenden Fruchtwassers nicht mehr riechen. Daueranspannung, Dauerstress. Mein Partner existiert nur noch für uns, die Zwillinge und mich. Gibt alles und viel zu viel, gibt sich und seine Bedürfnisse auf, um stark für uns zu sein. Trägt alles auf seinen Schultern und versucht unter der Last nicht zu zerbrechen.
21+6 SSW: Blutungen. Kontrolle mit dem Ultraschall. Die Assistenzärztin holt die Oberärztin dazu. Die Plazenta löst sich ab. Luft, WO IST LUFT? Sie bleibt mir weg. WAS MACHE ICH HIER? Mein Partner ist kurz vor der Blutung heim gefahren. Die Ärztin gibt mir ihr Telefon, die Nummer meines Partners ist eingewählt. "Du musst kommen!" Was bedeutet das? Nach allem was wir getan und wie wir gekämpft haben. Wieder eine Sache, die mir aus den Händen gleitet. STOPP! Ich will alles aufhalten, aber die Natur, mein Körper, die Zwillinge machen etwas anderes. Hämatom, Blutungen, Syndrom (FFTS), Blasensprung, Plazenta. Was soll ich machen? Wieso kann ich das nicht aufhalten?
"Das Schicksal ist besiegelt." So die Ärzte zu mir und meinem Partner. Mein Zweibettzimmer wird umgehend "geräumt", und mein Partner zieht ein. Bei meiner Krankenhausaufnahme sagte man zu mir, dass nur Partner bei Schwangerschaftsabbrüchen, die unabdingbar unmittelbar bevorstehen, einziehen dürfen.
Das war's. Wir reden viel. Die Ärzte erklären alles sehr ausführlich. Kurze Erleichterung, denn die Ungewissheit hat ein Ende. Wir können mit dem Verlust, der definitiv bevorsteht, arbeiten. Der Schwebezustand hat ein Ende. Ich glaube, das kann komisch für einige klingen, aber wie lange hätten wir den anderen Zustand noch durchstehen können. Mit welchen Folgen?
Wir schlafen und machen uns Gedanken, ob wir die Geburt einleiten sollen. Mein Partner ist sehr stark dafür, aber ich fühle es nicht. Ich fühle nur ein NEIN zu allem. Wir schauen ein Video zu einem späten Abort an. Mein Partner weint, das erste Mal seit sechs Jahren Beziehung. Ich kann ihn nicht mehr leiden sehen. Worauf warten, wenn dann durch die Blutung eine Notoperation, ein Kaiserschnitt, stattfinden muss? Das sei sehr wahrscheinlich, würden wir nicht eingreifen.
Wir leiten die Geburt ein. 21+7. Eine Tablette und die Wehen setzen schon stark und schnell ein. Ich habe keine Beziehung mehr zu meinem Bauch. Ich kann nicht. Schmerzen nehmen mir den Bezug zur Realität, in der wir uns gerade befinden. Kreißsaal, und mit einer weiteren Tablette kommen unsere Zwillinge am 16.04.2023 zur Welt, in der 22. SSW. Zu früh, zu klein und doch vollkommen.
Ich nehme sie zu mir auf den Arm und plötzlich ist alles still und friedlich. Surreal. Mein Partner möchte die Zwillinge nicht sehen. Ich höre ihn auf dem Gang weinen. Mein Herz bricht.
Mein Partner ist mir das Wichtigste, er soll nicht leiden. Während ich das schreibe, begreife ich nicht. Ich begreife nicht, ich begreife vielleicht auch nie. Akzeptieren ist noch so weit entfernt und doch die einzige Lösung. Akzeptieren, dass die Natur entschieden hat.
Wir haben verloren, den Kampf, euch. Ich verstehe es nicht.
Wir konnten euch nicht festhalten, wie das Wasser seid ihr uns durch die Finger entronnen. Beim Duschen betrachte ich meine Hände, das Wasser fließt zwischen meinen Händen. Unaufhaltsam. Rinnt zwischen den Fingern hindurch. Das waren die letzten Monate. Das wart ihr meine beiden wunderbaren Mäuse.
Und jetzt steht alles still nichts fließt und ich bin gefangen in einem Albtraum, der mein Leben sein soll. Ich will das nicht. ICH WILL DAS NICHT!
Tag für Tag, Schritt für Schritt und hoffen, dass meine Psyche das schafft, in ihrem Tempo. Vertrauen und Zeit.
Ich arbeite als Producerin/Redakteurin, bin 30 Jahre jung. Besonders in dieser schwierigen Zeit habe ich gemerkt, dass mein Partner und meine Schwester meine größten Stützen sind. Vermutlich auch, weil sie zu meinen größten Fans gehören. Gleichermaßen bin auch ich ihre größten Fans! Leichtigkeit verspüre ich vor allem, wenn ich mit meinen Freunden zusammen bin, Blödsinn rede und unendlich viel Lache.