Melanie (34)Heilpraktikerin

Stille Geburt mit Hindernissen

Auch Melanie merkt schnell nach, als bei ihrer Schwangerschaft in der 11. Woche ein Missed Abort diagnostiziert wird, dass sie keinen operativen Eingriff möchte. Hier schildert sie ausführlich, wie viel eigene Recherche und Einsatz nötig war, dass sie ihr Baby auf diesem Weg verabschieden konnte.

Ich werde diesen Tag wohl nie ganz vergessen – doch es werden, so hoffe ich, die Erinnerungen immer mehr verblassen, der Schmerz mehr und mehr weichen.

Es ist ein sonniger Tag Ende März. Den ganzen Tag und die auch die Tage davor war ich aufgeregt und voller Vorfreude auf den nächsten Ultraschall-Termin. Ich bin jetzt in der 11. SSW − und sehr stolz. Mein Körper hat sich bereits etwas verändert, woran ich mich nach und nach auch immer mehr gewöhnen werde – da war ich mir sicher.

Jetzt der Termin: Zusammen mit meinem Partner David fahre ich zu meiner Frauenärztin. David merkt man die Aufregung deutlich an – für ihn das erste Mal bei einer Frauenärztin, er wird das Baby das erste Mal sehen. Es liegt eine freudige Anspannung und Albernheit in der Luft.

Wir sitzen bei unserer Frauenärztin und sprechen über die verschiedenen Diagnostiken, Ultraschalluntersuchungen etc. Sie meint: „Naja, jetzt schauen wir erstmal, ob es einen Kopf hat.“ – Wir lachen, so klar ist uns, dass es einen Kopf haben wird – dass alles gut sein wird.

Die Ärztin macht den Ultraschall, ich schaue auf den Bildschirm und direkt denke ich mir: Da passt etwas nicht, das müsste anders aussehen. Zu sehen ist das Baby, so wie ich es in etwa auch bei unserem 1. Ultraschall gesehen habe – das kleine Würmchen, nur diesmal sieht man nichts pochen. Die Ärztin stupst es etwas mit dem Ultraschallgerät an, so als könnte sie es aus einem tiefen Winterschlaf erwecken. Mein Herz pocht so laut, dass ich das Gefühl habe es springt mir gleich aus der Brust.

Ich atme tief und schwer, mir ist schwindlig, ich kann nicht mehr denken. David wird mit zum Ultraschall-Bildschirm gerufen. Die Ärztin erklärt ihm, was man sieht, oder was man eben nicht sieht. Ich kann schon gar nichts mehr wahrnehmen, ich stehe einfach unter Schock.

Nachdem ich mich wieder angezogen habe, sitzen wir wieder bei der Ärztin. Ich kann nicht weinen, ich kann nicht sprechen, ich kann nicht denken. David fragt, wie es jetzt weitergeht. Sie erklärt uns in Kürze die verschiedenen Optionen, die wir jetzt haben. Sagt, üblich ist eine operative Ausschabung.

Ich sage: Ich möchte, dass es sofort rausgeholt wird. Der Gedanke mit meinem toten Baby im Bauch rumzulaufen, überfordert mich noch mehr. Sie gibt uns einen Überweisungsschein in die Klinik mit, wünscht uns noch alles Gute.

Als wir aus der Praxis draußen sind, breche ich in Tränen aus. Ich spüre allerdings hier schon, wie die Trauer nur ganz leicht an der Oberfläche kratzt, wie überfordert ich mit dieser Situation gerade bin, wie tief der Schock sitzt. Wir fahren mit unseren Rädern nach Hause, ich habe das Gefühl keine Luft zu bekommen, ich muss so tief atmen.

Zu Hause sitzen wir auf dem Sofa. David ruft direkt in der Klinik an – wir bekommen einen Termin für eine Woche später. Ich kann es nicht glauben, eine Woche. Ich kann doch nicht eine ganze Woche mit meinem toten Baby im Bauch rumlaufen.

Nun fange ich an, zu recherchieren. Ich lese das Kapitel über Fehlgeburten in meinem Hebammen-Buch. Zum ersten Mal höre bzw. lese ich, dass die Ausschabung eigentlich nicht das Mittel der Wahl ist. Dass es Komplikationen geben kann, dass es ein Eingriff in die natürlichen Prozesse und Vorgänge des Körpers ist. Ich lese weitere viele Erfahrungsberichte über Abwarten, über kleine Geburten, über Medikamente, über Rituale und über Blutungen, starke, sehr starke Blutungen.

Ich merke, dass die operative Ausschabung für mich nicht der richtige Weg sein wird. Ich möchte meinem Körper die Möglichkeit geben, unser Baby selbst gehen zu lassen.

Daraufhin folgen weitere zermürbende Tage voller Recherche, Telefonaten, Hoffnungslosigkeit. Ich sitze erneut bei meiner Frauenärztin, mit der Hoffnung eine Unterstützung und Informationen für die kleine Geburt zu bekommen. Das einzige, was ich bekomme ist ein Privat-Rezept für Cytotec mit dem Satz: Viel Glück, das Medikament ist in Deutschland nicht mehr erhältlich, keine Ahnung, wo Sie das herbekommen können. – Das war's – wir waren auf uns alleine gestellt.

Hilfe haben wir dann in unserem Umfeld gefunden:
Mit einer Bekannten konnte ich mich austauschen, der leider das selbe passiert ist und die auch eine medikamentöse kleine Geburt gemacht hat.

Über weitere Ecken habe ich erfahren, dass man Cytotec in Österreich noch kaufen kann. Also sind wir am nächsten Tag nach Kufstein gefahren und haben die Tabletten gekauft.

Als das ist ein Kraftakt und es sind Anstrengungen, die man in dieser Situation nicht noch zusätzlich braucht. Unsere Kräfte waren nun bereits vollends ausgeschöpft.

Die nächsten Tage folgten noch viele Gespräche und Diskussionen zwischen uns als Paar. David hatte weiterhin Bedenken und vor allem Ängste um mich, wollte mir aber dennoch meinen Prozess nicht ausreden. Eine tolle Unterstützung haben wir von einem befreundeten Gynäkologen erhalten, der uns professionell über alle Risiken aufgeklärt hat. Parallel war ich verzweifelt auf der Suche nach einer Hebamme, die uns auch vor Ort noch betreuen und unterstützen kann.

Zu dieser Zeit konnte ich keine Trauer spüren, viel zu groß war die Überforderung und vor allem die rasende Wut.

Eine Wut auf unsere Gesellschaft, die Fehlgeburten weiterhin zum Tabu-Thema macht. Eine Wut auf meine Frauenärztin, die mich in diesem Prozess nicht unterstützt und beraten hat, die mir keine Möglichkeiten aufgezeigt hat, die mich nicht aufgeklärt hat, dass mir eine Hebamme zusteht.

All diese Informationen musste ich mir in ewiger Recherche selbst zusammensuchen. Hierbei haben mir vor allem die vielen Erfahrungsberichte auf der Seite „Das Ende vom Anfang“ sehr geholfen. Und auch jetzt, knapp 7 Wochen nach der Fehlgeburt, spüre ich diese Wut weiterhin so stark in mir aufleuchten.

Der Tag der kleinen Geburt:

Es war ein Mittwoch im April, die Sonne scheint. Ich wollte unbedingt noch einen längeren Spaziergang machen, bevor ich dann mittags die Tabletten nehmen sollte. Um ca. 12 Uhr nahm ich zwei Cytotec vaginal – und wartete erstmal ab. Um ca. 18 Uhr bekam ich Blutungen und Krämpfe, die immer mehr wurden. Ich musste alle paar Minuten auf die Toilette, schwallartiges Blut strömte aus mir raus mit handgroßen Gewebestücken. Auch die Schmerzen wurden immer mehr. Um ca. 23 Uhr wurden die Blutungen langsam weniger, so dass eine große Wochenbett-Binde ausreichte. Die Schmerzen wurden dafür umso heftiger. Bis 5 Uhr morgens tigerte ich durch die Wohnung, immer wieder kamen die wehenartigen Schmerzen über mich, ich krümmte mich am Boden, versuchte sie weg zu atmen, bis ich dann endlich irgendwann vor Erschöpfung einschlief.

Ein paar Stunden später wachte ich wie gelähmt auf. Ich fühlte mich leer und konnte nichts fühlen – keinen Schmerz, keine Trauer – meine Seele fühlte sich getrennt von meinem Körper an. Und mein Körper war geschwächt, erschöpft, erstarrt.

Während ich diese Zeilen schreibe, spüre ich, wie weit ich doch dieses traumatische Erlebnis vor mir weggeschoben habe. So viel Schmerz und Trauer, die ich nun bereit bin zu spüren. Ich bin bereit den Weg der Trauer nun zu gehen, mein kleines Baby werde ich immer tief in meinem Herzen bei mir tragen.

Das Ende vom Anfang – Melanie
Melanie (34)Heilpraktikerin

Vorheriger Bericht Kristina (37)

Kein zweites Novemberkind

Am 27.06.2023 veröffentlicht.