Kein zweites Novemberkind
Kristina hatte mit ihrer zweiten Schwangerschaft einen Missed Abort. Schnell war ihr klar, dass sie auf keinen Fall eine Ausschabung möchte. Hier erzählt sie, wie die Stille Geburt erst auf sich warten ließ, dann aber komplikationsfrei verlief, und warum diese Entscheidung für sie der beste Weg war.
Nach langem Zögern hatten mein Mann und ich uns dazu entschlossen, zu versuchen, ein zweites Kind zu bekommen. Unser Sohn ist jetzt vier Jahre alt, und vieles ist im Alltag leichter geworden. Der Wunsch, ein weiteres Kind auf seinem Weg zu begleiten und eine Geschwisterbeziehung zu ermöglichen, wurde stärker, nachdem die ersten anstrengenden Jahre mit unserem Sohn geschafft waren. Wir genossen zwar unsere wieder erlangten Freiheiten und ich meine berufliche Weiterentwicklung, aber der Gedanke an ein zweites Kind ließ mich und uns nicht los.
Im fünften Zyklus nach unserem Entschluss hielt ich im März 2023 einen positiven Schwangerschaftstest in den Händen. Wir freuten uns. Uns war die Gefahr einer Fehlgeburt bewusst, dennoch waren wir aufgrund der ersten, komplikationslosen Schwangerschaft mit unserem Sohn zuversichtlich. So war doch die erste Hürde, das Schwangerwerden, geschafft. Ich kontaktierte meine Frauenärztin, bei der ich direkt in der darauffolgenden Woche einen Termin bekam. Es wurde Blut abgenommen, ein erstes Beratungsgespräch geführt, allerdings noch kein Ultraschall gemacht. Da ich gerade bei 5+0 war, würde man eh noch nichts erkennen können.
Der nächste mögliche Termin für den ersten richtigen Ultraschall wurde dann allerdings erst vier Wochen später bei 9+0 vereinbart. Ich dachte, dass das zwar noch lange hin sei, war aber guter Hoffnung, dass sich bis dahin alles gut entwickeln würde und man bis dahin bestimmt schon viel erkennen könnte. Ich fühlte mich seit dem Test und in den darauffolgenden Wochen vor allem sehr aufgebläht und irgendwie schwer und erschöpft, außerdem spannten meine Brüste sehr. Ich nahm das alles als gute Zeichen, als eindeutige Schwangerschaftszeichen, wahr.
In meiner ersten Schwangerschaft litt ich vor allem unter Kreislaufproblemen und Schwindel und extremer Müdigkeit. Dass es dieses Mal sich so anders anfühlte, beunruhige mich nicht. Die Tage und Wochen vergingen langsam, ich war tatsächlich in Gedanken schon sehr bei dem zweiten Kind und dachte daran, wie alles wohl werden würde. Gleichzeitig war ich innerlich aber immer etwas gebremst und vorsichtig, zu viel hatte ich schon über Fehlgeburten gelesen.
Mir war diese Gefahr einfach sehr bewusst und ich konnte und wollte mich noch nicht zu sehr auf ein zweites Kind einlassen, solange ich es noch nicht mit Hilfe des Ultraschalls gesehen hatte.
Als dann endlich der Tag des Termins da war, war ich sehr aufgeregt. Die Ärztin bat mich direkt zum Untersuchungsstuhl und entdeckte zunächst die Fruchthöhle und den Dottersack und dann auch den Embryo, der allerdings sehr klein war. Sie konnte keinen Herzschlag finden. In dem Moment, wo sie das sagte, fuhr draußen auf der Straße ein Rettungswagen mit Martinshorn vorbei, der Lärm übertönte ihre Worte und ich merkte, dass ich alles wie durch einen Filter wahrnahm.
Ich war gleichzeitig unglaublich traurig, aber auch geschockt, dabei aber gefasst und möglichst rational, um die ganze Situation erstmal hinter mich zu bringen. Sie markierte den Embryo und konnte so aufgrund der Größe feststellen, dass die Entwicklung vermutlich in der 7. Woche gestoppt sein muss. Sie bat mich, mich wieder anzuziehen und besprach mit mir das weitere Vorgehen.
Ich war schnell sehr klar und sagte ihr, dass ich in keinem Fall eine Ausschabung möchte.
Sie sagte, dass Abwarten auf jeden Fall eine Option ist, dass es mitunter aber auch noch einige Wochen dauern kann, bis der Abgang auf natürliche Weise stattfindet. Sie sagte mir, dass sie mich in zehn Tagen wiedersehen möchte. Den Überweisungsschein zur Abrasio bekam ich trotzdem in die Hand gedrückt. Ich wusste, dass ich diesen nicht nutzen wollen würde, sie meinte aber, es sei gut diesen bei mir zu haben, wenn ich z.B. starke Blutungen bekommen sollte, und doch kurzfristig in ein Krankenhaus fahre.
Auf dem Weg nach Hause sackte das Erlebte ein und machte mich vor allem unglaublich traurig. Im Verlauf des Tages und an dem folgenden Wochenende überkam mich immer wieder eine tiefe Traurigkeit, Tränen stießen mir in die Augen und ich trauerte um unser zweites Kind. Wie so oft in den kommenden Wochen ging mir immer wieder der Satz „Ich habe mich so auf dich gefreut, mein zweites Novemberkind“ durch den Kopf. Denn ich war fast genau auf die Woche zum gleichen Zeitpunkt schwanger wie bereits vor 5 Jahren. Der errechnete Geburtstermin sollte nur zwei Tage vor dem 5. Geburtstag meines Sohnes liegen. Nun war also klar, dass es kein zweites Novemberkind geben würde.
Die kommenden zwei Wochen habe ich gebraucht, um mich an den Gedanken zu gewöhnen, dass ich dieses Kind verlieren werde. Gleichzeitig hielt ich oft meine Hand an meinen Bauch und war froh darüber, dass es noch da war. Ich fand den Gedanken irgendwie beruhigend zu wissen, dass ich es noch „halte“, und wir uns auf diese Weise noch voneinander verabschieden können. Ich war auch noch nicht bereit, endgültig loszulassen.
Doch mehr und mehr belastete mich die Situation, und auch die Unwissenheit darüber, wann und wie ein Abgang einsetzen würde.
Genau eine Woche nach dem Termin bei meiner Frauenärztin bekam ich leichte Schmierblutungen, diese hielten zunächst eine Woche an, bis diese etwas stärker wurden. Mittlerweile war ich rechnerisch schon in der 12. Woche, als die Blutungen weiterhin stärker wurden und ich mehr und mehr Blut verlor. Ich hatte bereits vorsorglich alle Termine für das Wochenende abgesagt und arbeitete schon die Tage zuvor vor allem im Home Office.
An dem ersten Sonntag im Mai, mittlerweile mehr als zwei Wochen nach der Diagnose und mittlerweile schon seit mehr als 4 Wochen mit nicht mehr lebendem Embryo im Bauch, bekam ich Krämpfe und ich merkte, dass jetzt der Abgang einsetzen würde. Ich war vor allem sehr erleichtert, dass der Abgang nun auf natürliche Weise erfolgte. Erst ein paar Tage zuvor hatte ich mir nun doch einen Termin zur Ausschabung für den Folgetag, einen Montag, ausgemacht, da das Abwarten zunehmend schwer auszuhalten war. Beim Gedanken an die Ausschabung bekam ich jedes Mal Angst und hatte jeden Tag gehofft, dass der Abgang noch auf natürliche Weise einsetzen würde, und endlich war es soweit.
Ich hatte viel darüber gelesen und Podcasts gehört, sowie das Gespräch mit einer Doula gesucht, die mich beraten hatte, was da auf mich zukommt. Ich habe direkt eine Ibu genommen und mich mit einer Wärmflasche hingelegt. Ich bin aber immer wieder zur Toilette, weil ich doch recht viel Blut verlor und häufig die Binden wechselte. Dabei ging auch immer wieder ein großer Schwall Blut und Gewebe ins Klo. Da es so viel war, habe ich mich nicht bemüht, den Embryo, der da ja irgendwo zwischen all dem Blut sein musste, noch irgendwie auszumachen.
Ich weiß auch nicht, ob ich es geschafft hätte, den Embryo anzuschauen.
Die Krämpfe mit den Schmerzen waren gut aushaltbar und nach circa zwei Stunden wurden diese auch weniger. Die Blutungen hielten etwa noch weitere zwei Tage stark an, dann wurde es deutlich weniger. Bis auch die Schmierblutungen verschwanden, vergingen weitere zwei Wochen.
Für mich persönlich war auf den natürlichen Abgang zu warten, der beste Weg.
Und ich bin erleichtert und froh, diesen gegangen zu sein. Es war dadurch sehr selbstbestimmt und nicht von außen gesteuert, ich musste keinen anonymen Eingriff unter Vollnarkose vornehmen lassen. Mir hat es so auch die Zeit gegeben, mich zu verabschieden, meiner Trauer Raum zu lassen und zu erfahren, dass mein Körper es ganz alleine auf natürliche Weise regeln kann. Das hatte auch etwas Starkes und Kraftvolles und half mir dabei, zu akzeptieren, dass es für uns vorerst kein zweites Kind geben wird. Am Tag nach dem natürlichen Abgang rief ich direkt morgens in der Klinik an, in der ich den Termin für die Ausschabung vereinbart hatte und sagte diesen ab. Am darauffolgenden Tag konnte ich auch nochmal zu meiner Frauenärztin, die per Ultraschall die Nachkontrolle vornahm.
Ob wir es nochmal versuchen ein zweites Kind zu bekommen, lassen wir auf zu uns kommen. Als nächstes möchte ich mich vor allem erstmal weiter erholen und erst wieder etwas mehr Leichtigkeit spüren.

Ich bin ein sehr selbstbestimmter Mensch und weiß meistens sehr genau, was ich möchte. Halt gibt mir meine Familie: mein Mann und mein Sohn (4 Jahre), Zeit verbringe ich am liebsten mit den beiden, aber auch gerne alleine. Dann mache ich entweder Yoga oder lese.