Margarete (35)Juristin

Missed Abortion ohne Ausschabung

Margarete hatte eine verhaltene Fehlgeburt und wartete auf die natürliche Blutung. Sie will allen Frauen Mut machen, sich nicht vorschnell zu einer Ausschabung zu begeben.

Bei einer Routinekrebsvorsorge wird meine Schwangerschaft bereits während der Einnistung festgestellt. Was für ein Erfolg! Es war der erste Versuch. Bei unserer ersten Tochter hat es Monate gedauert, bis es geklappt hat. Meine Erleichterung ist riesig.

Für einen Schwangerschaftstest ist es noch zu früh. Die Bestätigung kommt zwei Wochen später. Ich erzähle meiner besten Freundin, dass ich mich nicht so sicher fühle wie bei meiner ersten Schwangerschaft. Bauchgefühl.

Am 29. Dezember habe ich die nächste Vorsorgeuntersuchung. Ich bin in der 10. Woche. Ich habe vor dem Termin starke Magen-Darm-Probleme, die ich mir nicht durch Nahrungsmittel oder einen Infekt erklären kann. Ein typisches Symptom neben vielen anderen Möglichkeiten wie ich später erfahre. Meine Ärztin sagt während des Ultraschalls erstmal nichts. Da bekomme ich ein ungutes Gefühl. Sie erklärt sonst immer ausführlich, was sie sieht. Sie sagt, dass das Baby nicht groß genug ist für die Woche. Sie sieht keinen Herzschlag, mein PH-Wert im Urin war nicht gut.

Der Embryo hat sich nicht weiterentwickelt. Ich weine. Ich vertraue meiner Ärztin und weiß, dass sie nichts sagt, wobei sie sich nicht sicher ist. Ich sehe, dass das Ultraschallbild komisch aussieht. Die Fruchtblase sieht leer aus. Ich ziehe mich an und wir gehen ins Besprechungszimmer. Sie erklärt mir in aller Ruhe die Optionen. Die Gewissheit tut weh und die Unausweichlichkeit der Konsequenzen macht mich unendlich traurig. Beim Schreiben dieser Zeile weine ich wieder. Sie sagt, man nennt es verhaltene Fehlgeburt bzw. missed abortion, wenn sich das Kind nicht weiterentwickelt, es aber keine Anzeichen für eine Fehlgeburt gibt. Sie sagt, jede 3. Schwangerschaft wird vom Körper natürlich beendet.

Die Ärztin klärt mich über zwei Möglichkeiten auf: Eine Ausschabung oder auf die natürliche Blutung warten. Es gibt keinen Grund zur Eile und medizinisch sei beides völlig gleichwertig. Sie empfiehlt mir die Feiertage und das Wochenende abzuwarten und mir Zeit zu geben. Eine Ausschabung kann man hier im örtlichen Krankenhaus jederzeit machen. Termine bekommt man für den nächsten Tag, es dauert 15 Minuten. Deshalb kann ich mich jederzeit umentscheiden. Das erleichtert mich sehr und nimmt mir den Zeitdruck.

Wenn man auf eine natürliche Blutung wartet, kann das Wochen dauern. Außerdem verliert man mehr Blut als bei einer Ausschabung. Die Blutungen können so stark sein, dass man bewusstlos wird, weshalb man nicht längere Zeit alleine sein sollte, wenn die Blutungen starten. Man sollte ins Krankenhaus gehen bzw. einen Krankenwagen rufen, wenn die Blutungen zu stark werden oder man sonstige Beschwerden dazu bekommt, mit denen man nicht alleine sein möchte.

Ich entscheide mich, erstmal abzuwarten. Ich verabschiede mich von der Ärztin und wir vereinbaren, dass ich spätestens in zwei Wochen zur Kontrolle komme, falls bis dahin nichts passiert ist. Ansonsten soll ich abwarten, bis die Blutungen vorbei sind und danach zur Kontrolle kommen, ob alles abgeblutet ist, und um zu kontrollieren, dass der Beta-HCG-Wert sinkt.

In den kommenden Tagen lese ich unglaublich viel über das Thema. Ich lese Blogs von Frauen, denen das gleiche passiert ist. Ich lese medizinische Seiten von Frauenärzten, Hebammen und Fachliteratur. Folgendes habe ich zusammengelesen:

Ich habe von einer Frau gelesen, die mehr als 6 Wochen auf ihre stille Geburt gewartet hat. Das scheint nicht der Regelfall zu sein, aber bestärkt mich darin, dass alles seinen geordneten Gang gehen wird, auch wenn es länger dauert. Es ist auch sehr unterschiedlich, wie lange es dauert, bis der nächste Eisprung nach der stillen Geburt oder nach einer Ausschabung kommt.
Bei einem Schwangerschaftsende in so einem frühen Stadium, gibt es nichts, was ich hätte tun können, um das auszulösen. Wenn es etwas gäbe, hätten Frauen schon seit Jahrhunderten so Schwangerschaften beendet. Das beruhigt mich, da ich in Gedanken natürlich nach Gründen suche, die bei mir liegen. Alles, was man als „vorbildliche Schwangere“ falsch machen kann wie Alkohol trinken, eine Salmonelleninfektion haben etc. kann zwar das Kind schädigen, aber keine gesunde Schwangerschaft beenden.
Genauso wenig hätte ich etwas tun können, um die Fehlgeburt zu verhindern. Wenn in so einem frühen Stadium die Schwangerschaft beendet wird, kann man das nicht selbst beeinflussen z.B. durch weniger Stress oder eine gesündere Ernährung.

Mir gibt das eine ganz tiefe innere Ruhe. Ich muss nicht mehr wissen, warum mein Kind sich nicht weiterentwickelt hat. Es wird seinen Grund haben, und ich wurde sicherlich vor Schlimmerem bewahrt.
Insbesondere musste ich nicht selbst die Entscheidung treffen, ob ich eventuell ein stark behindertes Kind auf die Welt bringen möchte oder nicht, auch wenn das für mich bis zum jetzigen Zeitpunkt nie zur Debatte stand.

Ich mache mir Gedanken darüber, ob ich das Kind bestatten möchte. Ich lese die Geschichten von Leuten, die das gemacht haben. Sie haben das Kind mit einem Sieb über der Toilette aufgefangen während der Geburt. Die Vorstellung ist für mich sehr befremdlich.

Die Tage nach der Diagnose sind nicht einfach. Es bleibt nicht viel Zeit für Trauer oder dafür sich mit mir und meinem Körper zu beschäftigen.

Das Gefühl, ein totes Baby im Bauch mit mir zu tragen, ist nicht einfach. Aber noch belastender ist für mich die Vorstellung, zu einer Ausschabung zu gehen und gefühlt von jetzt auf gleich ein Loch im Bauch zu haben.

Ich merke, dass ich Zeit brauche, mich von dem Kind und der Schwangerschaft zu verabschieden. Vier Tage nach der Diagnose habe ich endlich die Kraft, meine Hebamme anzurufen. Sie sagt mir, dass auch bei der stillen Geburt die Krankenkasse die Hebamme bezahlt und dass ich nicht zwingend warten muss, bis die Blutung natürlich einsetzt.
Außerdem empfiehlt sie mir einen Tee aus Hirtentäschlkraut und Fußbäder mit schwarzem Senfmehlpulver. Meine Hebamme sagt mir auch, dass ich mir von der Ärztin eine Cytotectablette holen kann, falls die natürlichen Heilmittel nicht helfen. Cytotec ist ein Medikament, dass auch zur Geburtseinleitung benutzt wird, da es Wehen auslöst und zuverlässig innerhalb von 48 Stunden zur Ablösung der Plazenta führt.

Meine Hebamme ist froh, dass ich mich nicht für eine sofortige Ausschabung entschieden habe. Sie erzählt mir, dass es bei der Diagnose, dass das Kind nicht mehr lebt, eine Fehlerquote von etwa 10 % gibt. Es gibt zwei Phänomene, die dazu führen können, dass Kinder irrtümlich für tot erklärt werden. Zum einen gibt es Eckenhocker. Das sind Eizellen, die so versteckt in der Ecke einer Gebärmutter sitzen, dass sie dick von Schleimhaut umgeben sind und deshalb im Ultraschall nicht gut dargestellt werden können. Das andere Phänomen ist das sog. Winterschlafsyndrom. Dabei fällt der Embryo in eine Art Winterschlaf und entwickelt sich eine Zeit lang nicht weiter. Wenn man in dieser Zeit einen Kontrolltermin macht, kann man das Kind für tot halten. Wenn man in der nächsten oder übernächsten Woche eine Kontrolle macht, hat der Embryo einen Sprung gemacht und die Entwicklung aufgeholt. Die Kinder kommen völlig gesund auf die Welt und werden von dem Winterschlaf nicht beeinträchtigt. In beiden Fällen lohnt es sich 10 bis 14 Tage zu warten und dann einen Kontrollultraschall zu machen oder sich direkt eine zweite Meinung in eine Feindiagnostikpraxis mit einem hochauflösenden Ultraschallgerät zu holen. Meine Hebamme schickt mir Artikel aus Fachzeitschriften darüber und ich bin sehr erschüttert. Ich recherchiere etwas im Internet und stoße auf die Website: www.geburt-in-eigenregie.de Dort gibt es jede Menge Geschichten von Frauen mit Ultraschallfehldiagnosen, nicht nur in Bezug auf Fehlgeburten, auch auf Windeier, Eileiterschwangerschaften, Behinderungen usw.

12 Tage nach der Diagnose gehe ich erneut zur Ärztin. Ich habe immer noch keine Blutungen und möchte einen Kontrollultraschall machen. Auf dem Ultraschall erklärt mir die Ärztin, dass die Schleimhaut sich im Vergleich zum letzten Termin verändert hat und man sehen kann, dass die Ablösung vorbereitet wird, weil die Schleimhaut weniger durchblutet ist.

Nach dem Kontrolltermin ist die Diagnose für mich endgültig. Ich sage den Termin in der Geburtsklinik ab, melde mich vom Babybauchfitnesskurs ab und sage die Nackentransparenzfaltenmessung ab. Ich überlege mir, dass ich noch ein paar Tage warten will, bis ich mit dem Tee und dem Fußbad anfange.

Ich rede mit meiner Hebamme darüber, dass ich mir Sorgen mache, dass nicht alles abblutet, und Reste der Plazenta in mir bleiben und ich dann doch eine Ausschabung brauche und quasi alles Warten umsonst war. Sie macht mir Mut und sagt, dass ich verschiedene Möglichkeiten habe. Zum einen könnte ich nochmal versuchen mit dem Tee und den Fußbädern die Blutungen erneut in Gang zu kriegen. Außerdem könnte ich, wenn wirklich viel übrigbleibt, immer noch eine Cytotec-Tablette nehmen. Zum anderen könnte ich auch einfach abwarten und schauen, ob die Reste mit der nächsten Regelblutung ausgespült werden. Außerdem kann man zum Teil auch Gewebereste absaugen, wenn sie nicht mehr so fest mit der Gebärmutter verbunden sind.

16 Tage nach der Diagnose starte ich mit einem Liter Tee und zwei Fußbädern. Am nächsten Morgen nach einer weiteren Tasse Tee fangen die Blutungen an. Verglichen mit meinen Tagen sind die Blutungen relativ stark, was bei meinen schwachen Tagen aber auch keine Kunst ist. Ich bin unsicher, wie lange es jetzt bis zum Hauptteil der Geburt dauert. Da ich nicht weiß, wie viele Tage die Blutungen anhalten und woran ich merke, dass der schwierigste Teil bevorsteht, beschließe ich, erstmal alleine zu bleiben und zu schauen, wie sich die Lage entwickelt.

Ich nehme Schmerzmittel und eine Wärmflasche. Ich habe mir dicke Wochenbettbinden besorgt. Am Abend des Tages, an dem die Blutungen losgehen, geschieht die stille Geburt. Das ist mir erst rückblickend klar. Es ist so viel Blut, dass ich eine Weile auf der Toilette sitze, weil die Binden es nicht halten können. Die Schmerzen sind stark, aber nichts im Vergleich zur Geburt meiner Tochter.

Die nächsten drei Tage habe ich immer wieder Gewebe in der Binde. Am fünften Tag werden die Blutungen merklich schwächer. Um auf Nummer sicher zu gehen, dass alles abblutet, fange ich nochmal mit dem Tee und den Fußbädern an. Am sechsten Tag hören die Blutungen auf. Ich trinke noch einen Tag lang weiter Tee und mache noch weitere Fußbäder, aber es geschieht nichts. Am achten Tag gehe ich zur Kontrolle zu meiner Frauenärztin. Sie freut sich, dass ich mit den natürlichen Hilfsmitteln Erfolg hatte und sagt mir, dass nur noch ein Tropfen Blut in der Gebärmutter zu sehen ist. Den kann man nicht ausschaben. Mein HCG-Wert ist schon bei 280. 11 Tage nach der Blutung ist er bei 74 und weitere 10 Tage später bei 11. Ich muss zu keiner Kontrolle mehr und körperlich ist der Hauptteil gut verlaufen. Meinen nächsten Eisprung habe ich knapp vier Wochen nach der stillen Geburt.

Emotional geht es mir nicht gut in der nächsten Zeit. Meine beste Freundin ist im 8. Monat. Meine Schwester plant das 2. Kind. Also muss ich mich mit dem Thema so beschäftigen, dass ich es verarbeiten kann und dass ich drüber reden kann und dass ich nicht heulend den Raum verlasse, wenn mir jemand erzählt, dass sie ein Kind bekommen.

Ich versuche offen mit dem Thema umzugehen, und mit meinen Freunden und der Familie drüber zu reden. Ich will, dass sie wissen, was ich durchmache und ich hoffe, dass sie sich bei der nächsten Schwangerschaft doppelt mit mir freuen, wenn sie wissen, dass für mich ein gesundes Kind nicht selbstverständlich ist. In meinem Umfeld gibt es nur eine Freundin, die zwei Fehlgeburten hatte.

Ich fühle mich alleine mit dem Thema. Für meinen Mann ist es schnell abgehakt. Er sieht das sehr pragmatisch und ist wenig emotional. Meine Familie und meine Freunde versuchen mir beizustehen, sind aber zeitweise auch überfordert damit, da sie alle noch nie von dem Thema selbst betroffen waren.

Wenn Freunde mich fragen, was sie für mich tun können, sage ich, dass ich mich freuen würde, wenn sie sich in der nächsten Zeit regelmäßig bei mir melden und fragen wie es mir geht. Das macht fast keine meiner Freundinnen trotz expliziter Bitte. Das enttäuscht mich sehr. Ich bin meiner Schwester und meinen beiden besten Freundinnen sehr dankbar für ihre Unterstützung. Bei ihnen kann ich offen sagen, was ich denke und wie es mir geht.

Jetzt sind sechs Monate vergangen. Ich bin mit mir im Reinen: mit der stillen Geburt, mit der Tatsache nicht schwanger zu sein und damit, dass andere Frauen schwanger sind und kleine gesunde Babys haben.
Wir haben es schon dreimal versucht, aber bisher hat es nicht nochmal geklappt. Ich bin mittlerweile soweit, dass es für mich auch akzeptabel wäre, wenn ich kein weiteres Kind bekommen könnte. Ich wollte immer mindestens zwei Kinder und würde mich vielleicht um ein Pflegekind bemühen. Ich freue mich, dass ich eine gesunde Tochter habe, und wenn mir die Natur kein weiteres Kind ermöglicht, ist das okay.

Ich möchte jeder Frau Mut machen, sich mit dem Thema aktiv auseinanderzusetzen, darüber zu sprechen und sich Hilfe zu holen von Freunden, Familie, Ärzten, Hebammen oder Psychologen. Ihr seid nicht alleine. Gebt euch Zeit und es wird Schrittchen für Schrittchen besser werden!

Margarete ist nach ihrer stillen Geburt aktuell im 5. Monat schwanger.

Das Ende vom Anfang – Margarete
Margarete (35)Juristin

Ich bin 35 Jahre alt und lebe mit meiner Tochter und meinem Mann in Brühl. Ich habe Jura studiert, weil man damit so viele verschiedene Berufsmöglichkeiten hat. Ich habe schon als Dozentin gearbeitet, als Anwältin, als ehrenamtliche Schiedsrichterin und als Referentin bei einer Behörde. Ich liebe es Fahrrad zu fahren und alles was mit Rätseln, Puzzlen und Krimis zu tun hat.

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Freude und Glück. Trauer und Hass.

Am 09.06.2021 veröffentlicht.
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Am 12.11.2021 veröffentlicht.