Melanie (27)Fachwirtin im Gesundheits- und Sozialwesen

Freude und Glück. Trauer und Hass.

Melanies Geschichte ist intensiv. Bei ihr wird im Ersttrimester-Screenings festgestellt, dass ihr Sohn eine Triploidie, sowie weitere Schäden an den Organen, hat. Sie beschreibt hier ihren inneren Kampf, welche Entscheidung sie nach der Diagnose zu treffen hat, die stille Geburt in der 15. Woche, die Beerdigung ihres kleinen Vincents. Aber auch, wie schockiert sie war, als sie danach wieder eine Fehlgeburt hat.

Im Dezember 2019 holten mein Mann und ich unsere Flitterwochen nach, da nach unserer Hochzeit 2017 der Hausbau vorging und an Urlaub nicht zu denken war. Wir genossen zwei wunderschöne Wochen in Mexico, Playa del Carmen. Vor den Flitterwochen haben wir uns schon intensiv über Kinder unterhalten und im Urlaub stand dann auch fest: Sobald wir zurück sind, versuchen wir es.

Die Aufregung, jetzt ganz bewusst auf Verhütung zu verzichten, war riesengroß. Schließlich wurde mir schon mit 13 Jahren erklärt, wie wichtig es ist, richtig zu verhüten. Denn tut man das nicht, ist man sofort schwanger.

Da ich selbst zu dieser Zeit als Praxismanagerin einer gynäkologischen Praxis gearbeitet habe, war mir natürlich klar, dass es nicht die Regel ist, dass man sofort schwanger wird. Aber eine kleine Stimme im Kopf sagt einem doch ständig: "Das ist nur bei den anderen so, bei mir klappt es bestimmt sofort".

Ich habe also im Dezember 2019 alles abgesetzt, fleißig jeden Tag Vitamine genommen, wir haben beide bereits im Januar 2019 das Rauchen aufgehört und ich war super guter Dinge. Meine Periode kam im Januar 2020 auf den Tag pünktlich und ich würde lügen, würde ich jetzt sagen, dass ich nicht enttäuscht war, obwohl ich durch meinen Job genau wusste, dass das ganz normal ist. Aber man hält sich selbst immer für die Ausnahme und diese sollten wir dann letztendlich ja auch sein.

Meine Periode kam auch im Februar und März auf den Tag genau und ich war mächtig genervt. Ich habe alles an Globuli, Kinderwunschgleitgel und -tee ausprobiert. Dann kam der April und meine Periode kam nicht, mein Herz raste, denn ich war mir ganz sicher: Es hat geklappt!

Leider gab es schon hier die ersten Anzeichen dafür, dass etwas einfach nicht stimmen konnte, denn der Test, den ich machte, als ich zwei Tage überfällig war, war negativ. Das war wie ein Schlag ins Gesicht. Also abwarten. Die Periode kam nicht. Neuen Test kaufen, 6 Tage überfällig, der Test ist positiv. Endlich! Ich war im Kopf sofort Mama und habe mich riesig gefreut. Aber da war nun immer die Stimme: „Es stimmt etwas nicht, warum war der Test so spät positiv. Du weißt es aus der Praxis, es kann so viel noch schief gehen...“

Ich hatte dann im Mai meinen ersten Termin bei meinem Chef vereinbart - 6+6 SSW. Man sollte nun schon einiges sehen. Aber wir sahen nichts. Ein wunderbare kleine runde Fruchthöhle, aber ohne Inhalt. Ich wusste genau was das bedeutet: Windei, Ausschabung, alles auf null.

Ich war am Boden zerstört. Ich weiß, dass sowas immer wieder vorkommt, aber doch nicht bei mir. Mein Mann und ich haben uns an diesem Wochenende einfach zuhause eingesperrt und geheult. Warum wir? Warum das alles? Warum ist das Leben so unfair? Am folgenden Dienstag wollte mein Chef eine Kontrolle machen, um zu sehen, ob es evtl. von allein abgeht oder ob eine Ausschabung nötig ist. ßHCG wurde kontrolliert und ich weiß, der Wert muss sich verdoppeln alle 2 Tage.

Ich hatte einen Anstieg von 1399 auf 2330, also eigentlich nicht nennenswert. Ich war auf alles eingestellt, was nun kommt. Habe schon überlegt, wo ich den Eingriff machen lasse und schaue deshalb auch nicht auf den Monitor beim Ultraschall, da gab es ja eh nichts zu sehen. Bis mein Chef meinte: „Also, da ist ein Herzschlag!"

Im ersten Moment begriff ich gar nichts. Ich starrte auf den Bildschirm und tatsächlich war in der zuvor leeren Fruchthöhle nun ein Embryo mit 5,6 mm und Herzaktion. Die Freude kam wie eine Welle. Es ist doch alles gut! Ich hatte einfach nur meinen Eisprung später. Deshalb ist unser Baby jetzt erst bei 6+2 SSW. Aber es ist da, sein Herz schlägt und nun wird alles gut.

Mein Chef möchte zur Sicherheit wöchentlich Kontrollen machen und auch ich bin übervorsichtig: Bei jedem kleinsten Ziehen oder Anzeichen für Schmierblutung steh ich bei ihm auf der Matte. Denn die Angst vor dem Verlust ist riesig. Dennoch alles ist gut, die Trauer, der Hass, die Wut - sie sind verflogen. Bei den wöchentlichen Kontrollen sehe ich das Baby wachsen. Es wächst nur sehr langsam, darum wird der ET um 2 Wochen nach hinten geschoben und auch meine SSW von rechnerisch 11+5 auf 9+6 geändert.

Mein Chef fragt, ob wir uns entschieden hätten, ob wir ein Ersttrimester-Screening oder einen Harmony-Test machen wollten. Für mich war vorher schon klar, das Ersttrimester-Screening machen zu lassen und auch sonst alle Untersuchungen, die möglich sind, um sicher zu gehen, dass das Baby gesund ist und die Schwangerschaft weiterhin gut verlaufen kann.

Die Stimme im Kopf sagt „es wächst zu langsam. Du weißt das etwas nicht stimmt. Die Blutwerte waren zu niedrig für eine intakte Schwangerschaft. Du weißt es. Du weißt es.“ Ich ignoriere die Stimme. Ich neige dazu, mir zu viele Gedanken um alles zu machen. Die 12. SSW ist geschafft und damit ist jetzt endgültig alles gut.
Das war die kritische Phase, die ist überwunden. Dachte ich.

Das Screening ist für 13+5 SSW geplant. Unsere Familie weiß es jetzt, denn die 12. Woche ist rum, was soll noch passieren. Es ist Corona, es ist der Tag des Screenings, ich fahre direkt von der Arbeit dorthin, mein Mann darf sowieso nicht mit.

Ich freue mich auf den Termin, endlich richtig gute Aufnahmen von dem Baby, denke ich mir. Ich habe die Tage davor schon Videos in der Praxis gemacht, wie es in mir herumturnt und bin schockverliebt in dieses kleine Wunder. Ich kann es gar nicht erwarten, dass man endlich auch meinen Bauch sieht.

Die Ärztin schallt und erklärt: „Es liegt ein bisschen eingerollt, so sehen wir nicht viel. Laufen Sie mal ein bisschen." Ich laufe. 20 Minuten später ein vaginaler Schall. Es solle nochmal laufen, denn es hat sich nichts geändert. Nochmal 30 Minuten später, wieder über Bauch Schall. Sie schallt und schallt, und dann sagt sie: „Slso, es ist keine Trisomie 21.“

Ich denke gut, alles gut. Sie sagt aber auch: „Es ist ziemlich sicher etwas schlimmeres Genetisches. Ihr Kind öffnet die Finger nicht, der Kopf ist im Verhältnis zum Bauch zu groß und das Kinn ist nach hinten versetzt. Auch das Herz sieht so aus, als wenn es nicht ganz in Ordnung wäre.“

Mir schießen die Tränen übers Gesicht. Was hat sie gesagt? Das kann doch nicht sein! Das darf nicht sein! Es war doch alles gut. Sie erklärt, wir machen einen Termin in zwei Tagen für die Chorionzotten-Biopsie, um sicher zu gehen. Sie ruft meinen Chef an, und bespricht mit ihm den Befund. Ich rufe meinen Mann an, wir müssen uns in der Praxis treffen.

Biopsie-Tag. Mein Mann ist dabei, alleine kann ich gar nichts mehr. Außer weinen. Außerdem hasse ich Nadeln. Nach der Biopsie folgt ein Kontrollultraschall. Mein Wunder ist putzmunter und turnt in mir. Wie kann das sein? Wie kann es so krank und doch so fit sein?

In der genetischen Beratung wird und erklärt, was eine Triploidie ist - eine Laune der Natur. Man hat die Möglichkeit, zu warten, bis das Herz von allein aufhört zu schlagen, oder einen Abbruch zu machen, wenn die Diagnose steht.

"Aber Sie sind ja noch jung. Sie können gleich wieder „ein Neues“ machen." Sagen sie uns.

Mein Kopf schreit „BITTE WAS? DAS IST KEIN KUCHEN, DEN MAN NEU MACHT, SONDERN UNSER KIND!“

Wir fahren heim, wir weinen, wir googeln, wir hassen diese Welt. Warum wir? Warum unser Baby? Warum ist die Welt unfair? Warum, warum, warum… Montag der Anruf, es steht nun fest: Wir haben einen Sohn mit Triploidie. Wir haben einen Sohn, der im Moment putzmunter ist, aber nicht leben kann, nicht wachsen, nicht laufen, nicht spielen.

Wir machen einen Termin in der Uniklinik aus, um uns nochmal beraten zu lassen. Vielleicht liegen alle falsch und es ist doch alles gut.

Nein, gar nichts ist gut, unser Sohn hat Triploidie, einen Herzfehler und der Darm ist auch nicht richtig ausgebildet. Nun folgen Tage, in denen wir eine Entscheidung treffen müssen, und jeden Tag damit rechnen, das sein Herz nicht mehr schlägt. Soll ich ihn vielleicht austragen bis zum Schluss, damit er dann bei seiner Geburt oder ein paar Stunden danach stirbt? Die Ärzte reden von "maximal Stunden", die er leben kann, aber in seinem Fall und mit den zusätzlichen Organschäden ist es realistischer, dass er vor der Geburt oder spätestens währenddessen stirbt.

Also was sind unsere Möglichkeiten und was ist das Ergebnis? Das Ergebnis ist immer das gleiche, egal was wir tun: Unser Sohn stirbt! Wir werden kein Baby haben. Wir entscheiden uns, es zu beenden, so schrecklich das auch ist. Aber ich kann den Gedanken nicht ertragen, nicht zu wissen, ob er noch lebt oder nicht. Ich kann den Gedanken nicht ertragen, dass jeder den Bauch sieht und Glückwünsche ausspricht, und ich dann erkläre, dass mein Kind niemals im Kinderwagen durch das Dorf fahren werden, weil es nicht leben wird. Es sieht so aus, als hätten wir eine Wahl gehabt. Diese hatten wir aber nicht, denn das Ergebnis ist immer Tod.

Der Termin steht, die Geburt wird eingeleitet und anschließend eine Ausschabung gemacht. Die Klinikseelsorge ist informiert. Wir haben ein Sternennest und einen kleinen Mantel nähen lassen. Darin wird er nach seiner Geburt liegen. Ich liege als in meinem Krankbett, mein Mann neben mir. Netterweise darf er trotz Corona dabei sein. Ich stoße auf diese Seite im Internet und fühle mich auf einmal nicht mehr so allein.

Ich bin nicht die einzige, wir sind viele und wir sind alle Eltern. Die Wehen setzen ein, ich bekomme Schmerzmittel, die supernette Ärztin sagt: "Heute kommt er noch nicht. Keine Angst, die Geburt wird wie jede andere auch, Sie kommen genauso in den Kreissaal." Das tut gut, ich bin nicht weniger wert als die anderen Mütter.

Mitten in der Nacht Blut und Schmerzen. Der Muttermund ist noch nicht auf. Neue Schmerzinfusion. Versuchen, zu schlafen. Ich drehe mich auf die Seite, es macht „Plop“ in meinem Bauch unterhalb meines Bauchnabels, wie wenn eine Kaugummiblase platzt. Der Schmerz ist weg. Ich bin zu müde. Ich schlafe ein.

Nächster Morgen, keine Schmerzen. Ich spüre nur einen Druck und ich muss auf die Toilette. Man bekommt extra eine Pfanne zum Auffangen. "Es kann auch mal schnell gehen", sagte die Schwester. Wie schnell, sah ich dann. Ich setzte mich auf die Pfanne und in dem Moment spürte ich, wie mein Sohn mich verlässt. Er ist einfach hinausgeglitten komplett mit Plazenta und allem.

Ich habe seinen Kopf gespürt und dann seinen kleinen Körper. Die Tatsache, dass er nun da ist, dass es jetzt endgültig vorbei ist, zerreißt mich. Ich schreie. Ich schreie einfach alles raus. Den Schmerz, den Hass, die Wut. Mein Mann und die Schwestern kommen. Ich werde in mein Bett gelegt. Eine Schwester nimmt meinen Sohn mit. Wir fahren in den Kreissaal. Meine Ärztin ist schockiert, dass es so schnell ging, aber tröstet mich auch. Eine Hebamme kommt und erklärt, dass sie unser Wunder wäscht, wiegt, anzieht, in sein Nest legt, Fotos macht und wir ihn dann haben dürfen. Ich werde solange operiert. Die Narkose wird eingeleitet und fühlt sich so befreiend an.

Als ich wieder wach und in meinem Zimmer bin, trifft mich die Realität. Das kann alles nicht wahr sein. Warum wir? Warum unser Kind? Die Seelsorge kommt, fragt, ob wir unsere Jungen sehen wollen. "Ja, natürlich!" - und ich will ihn auch nicht wieder hergeben. Unser Sohn ist perfekt. Er ist 10 cm klein und 60 Gramm leicht, aber er ist ein perfekter Mensch und ich liebe ihn mit jeder Faser meines Körpers. Wir weinen und wir führen mit der Seelsorge eine Namenszeremonie durch. Unser Sohn heißt Vincent und hat nie eine Chance bekommen, zu leben.

Wir werden ihn in dem Familiengrab meines Großvaters bestatten. Ich rufe einen befreundeten Bestatter an, er soll Vincent bitte in der Klinik abholen. Ich will meinem Sohn nicht bei fremden Menschen wissen. Ich entlasse mich aus dem Krankenhaus.

Körperlich geht es mir gut. Seelisch bin ich zerstört.

Wir planen die Beerdigung. Alle sind da, die ganze Familie. Alle verabschieden unser kleines Wunder, dass sie nur von den Bildern kennen, die im Kreissaal gemacht wurden. Das Grab ist voller Blumen. Wir fahren jeden Tag hin. Ich bestelle eine Grabplatte mit Namen und Datum. Jeder soll wissen, dass es unseren Sohn gab, und jeder der es wissen will, darf unsere Geschichte hören. Wir werden nicht schweigen.

Ich werde mich nicht für meine Laune entschuldigen. Es ist so, wie es ist, und das soll die Welt auch wissen. Das Schicksal ist ein mieser Verräter. Irgendwann muss man wieder funktionieren, auch wenn man das nicht will, denn meine Welt steht still seit dem Tag der Diagnose.

Ich versuche, zurück in meinen Job zu gehen, ich gehe zur Hypnose-Therapie. Meine Kolleginnen werden schwanger. Ich kann das nicht. Ich will das nicht. Ich will weg. Weit weg. Ich will nicht mehr. Die schlimmsten Gedanken kommen in mir auf. Ich kündige. Ich habe einen neuen Job im Außendienst, keine Praxis mehr.

Wir sind zeitgleich in der Kinderwunschklinik, man macht uns Hoffnung. So eine schlimme Diagnose passiert nie zweimal. Ich habe laut Kinderwunschklinik PCO, aber das macht überhaupt nichts. Das Spermiogramm ist schlecht, auch das bedeutet noch nicht das Ende. Mit Beigabe von Clomifen werde ich im Januar 2021 schwanger. Es hat geklappt. HCG ist positiv. Schwangerschaftstest ist sofort positiv.

Die Freude ist nicht da, nur die Angst. Angst, dass alles von vorne beginnt. Der erste Ultraschall. "Wie Sie sehen, sehen Sie nichts!" Mein Kopf sagt „Nicht schon wieder, bitte nicht schon wieder…“ Die HCG-Werte steigen aber wieder zu wenig, um in Ordnung zu sein. Die Fruchthöhle ist da, der Dottersack ist da. Es wächst zu langsam. Alles in mir schreit – DAS DARF NICHT WAHR SEIN! Warum schon wieder?

Ich gehe zu meinem Ex-Chef, er nimmt sich immer extra Zeit für mich. Auch er sagt, „Es ist nicht in Ordnung, aber ich möchte dir sagen, dass es nicht das Gleiche ist wie beim ersten Mal. Es ist mit Sicherheit etwas anderes.“ Die Optionen sind jedoch die gleichen.

Dieses Mal warte ich. Eine Woche später beginne ich, zu bluten. Erleichterung, mein Körper entscheidet selber. Am nächsten Tag geht die komplette Fruchthöhle mit allem Drum und Dran ab. "Abortus completus" rechnerisch 7. SSW. Wir begraben die kleine Blase in unserem Garten unter einem Fliederstrauch. Wieder bei Null.

Aber was bleibt ist, dass wir nicht schweigen werden.

Wir sind nicht allein, wir sind viele. Wir sind Eltern von Engeln. Und natürlich bleibt weiter die Hoffnung. Die Hoffnung, dass wir irgendwann ein lebendes Kind haben werden, das wir aufwachsen sehen dürfen.

Das Ende vom Anfang – Melanie
Melanie (27)Fachwirtin im Gesundheits- und Sozialwesen

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