Julia (31)Lehrerin

Vom zweiten Wunschkind, das viel zu schnell ging

Julia hatte schon eine zweijährige Tochter (und Vorzeigeschwangerschaft), als sie ihr zweites Baby in der 14. Woche im Krankenhaus unter starken Schmerzen verliert.

Während ich unsere Geschichte hier aufschreibe, ist unser zweites Kind seit drei Wochen nicht mehr in meinem Bauch, sondern im Himmel. Ich muss jetzt nicht mehr bei jedem Gedanken an dieses kleine Wesen weinen, aber es fehlt ein Stück unseres Glücks.

Wir sind Eltern einer zweijährigen, putzmunteren Tochter, die nach einer Vorzeigeschwangerschaft, aber schwierigen Geburt, im Juli 2020 auf die Welt geholt wurde. Anfang Juni 2022 heirateten wir und wir waren bereit für ein Geschwisterchen. Wie auch beim ersten Mal wurde ich schnell schwanger und wir freuten uns riesig über den positiven Schwangerschaftstest. Kein einziger Gedanke kam in uns auf, dass es nicht gutgehen könnte. Trotzdem warteten wir die ersten 12 Wochen ab, bevor wir es erzählten. Alle freuten sich so sehr mit uns, viele rechneten bereits mit einem zweiten Kind.

Es war Anfang November. Die anfänglichen Schwangerschaftssymptome wie Übelkeit, Schwindel und Infektanfälligkeit hatten sich gelegt. Ich wachte auf und hatte minimale Blutungen. Anfangs dachte ich mir nichts dabei, doch es hörte über den Tag nicht auf, stattdessen wurden die Blutungen stärker und zum Abend hin kamen immer wieder Unterleibsschmerzen in kurzen Abständen auf, die nach und nach immer heftiger wurden. Leider fragte ich irgendwann Dr. Google um Rat, der von harmlos bis Fehlgeburt alles auflistete.

Mein Mann versuchte mich zu beruhigen. Am nächsten Morgen hätte ich den nächsten Kontrolltermin bei meiner Frauenärztin gehabt. Wir brachten unsere Tochter zu Bett und sie schlief erstaunlicherweise schnell ein. Da die Schmerzen immer schlimmer wurden, rief ich meine Mutter an und sie riet mir, ins Krankenhaus zu fahren, um alles abklären zu lassen. So machten wir es dann auch.

Im Krankenhaus wurden wir auf der Wochenstation vorstellig, mein Mann musste jedoch wegen der Coronavorschriften wieder rausgehen. Er fuhr in der Zeit, während ich wartete, zur Polizeistation, da wir auf dem Hinweg einen Wildunfall hatten. Ich saß allein im Wartebereich, hatte so starke Schmerzen und auf der Toilette kam immer mehr Blut raus. Ich versuchte, mit meinem Baby zu reden und mir meine Ängste zu nehmen. Die Assistenzärztin kam, die zu diesem Zeitpunkt alleine Dienst hatte und meinte, sie könnte sich jetzt nicht direkt um mich kümmern, da sie in den OP zu einem Kaiserschnitt müsste. Ich könnte Schmerzmittel bekommen, aber gegen die Blutungen könnte sie im Moment sowieso nichts tun. Also weiter Ungewissheit.

Ich hielt die Schmerzen noch etwas aus, meldete mich dann aber doch auf Station. Ich durfte ins Untersuchungszimmer und bekam Tabletten. Dann kam die Ärztin zurück. Erst machte sie einen äußeren Ultraschall. Ich sah mein Baby, aber es lag sehr weit unten. Lange wurde nichts gesprochen, bis ich es nicht mehr aushielt und fragte, ob mein Baby denn noch leben würde. „Ich sehe keine Herzaktivität!“ Bitte was??? „Ich mache noch einen vaginalen Ultraschall, um sicher zu sein.“ Ab diesem Zeitpunkt schaute ich auf keinen Untersuchungsbildschirm mehr. „Bitte, kann mein Mann zu mir kommen?“ Das war kein Problem und ich rief ihn an, da er draußen im Auto wartete.

Unterdessen kam die Oberärztin und schaute sich auch noch einmal alles an. Auch sie kam zu dem Ergebnis, dass das Kind in meinem Bauch nicht mehr lebte. Es hätte auch nicht den entsprechenden Entwicklungsstand für die 14.Schwangerschaftswoche und wäre sehr wahrscheinlich schon seit einigen Tagen tot. Warum? Warum? Warum? Ich konnte an nichts anderes mehr denken. Eine Welt brach zusammen. Wir weinten. Die „tröstenden“ Worte der Ärztinnen:„In dieser Phase ist das normal. Es kommen viele Frauen zu uns, die das Gleiche mitmachen.“

Ich bekam eine fette Einlage in die Hose und mir wurde gesagt, dass das Kind jederzeit abgehen könnte. Wenn dem nicht so wäre, müsste ich am nächsten Tag ausgeschabt werden. Wir bekamen ein Zimmer für uns. Wir legten uns in unsere Betten und weinten und versuchten, uns der Situation klar zu werden. Mein Mann informierte meine Mutter, die auf unsere Tochter aufpasste. Es war bereits nach Mitternacht. Trotz Medikamenten taten die anfänglichen Schmerzen, die nun klar als Wehen definiert werden konnten, so weh. Aber warum? Warum jetzt noch solche Schmerzen aushalten müssen? Dann kam die Ärztin und wollte mich über die Risiken der eventuell anstehenden OP aufklären.

Während des Gesprächs, oder vielmehr Monologs, musste ich auf Toilette und ich merkte, dass große feste Bestandteile mitkamen. In der Toilette hing eine Bettpfanne, in die ich aber nicht reinschaute. Die Ärztin schaute nach und bestätigte, was ich bereits ahnte: die Plazenta und auch das Baby waren raus. Mein erstes Gefühl: Erleichterung. „Danke, liebe Natur, dass ich nicht ausgeschabt werden muss.“ Somit hatte sich auch das Aufklärungsgespräch erübrigt. Aber neue Fragen prasselten auf uns ein: „Wollen Sie eine pathologische Untersuchung? Wollen Sie ein Sternengrab? Wenn nicht, wird es eine Gemeinschaftsbestattung geben.“ - "Hallo? Können wir eventuell mal unseren ersten Schock und Schmerz verarbeiten, ein bisschen zur Ruhe kommen und uns dann Gedanken machen???"

Wir sollten ein paar Stunden Ruhe bis zum Morgen bekommen. Wir waren beide sehr erschöpft. Mein Mann schlief auch sofort ein, ich schaffte es leider nicht ins Reich der Träume. Ich bekam solch starke Nachwehen, dass ich irgendwann nach der Schwester klingelte. Und dann ging es rapide bergab. Mein Kreislauf drohte, zu kollabieren, ich war kurz vorm Hyperventilieren, mein Unterleib schmerzte so sehr, mein Mund trocknete aus. Gefühlt wurde das gesamte diensthabende Personal der Station gerufen. Am besten half mir, neben irgendwelchem Zeug, das mir intravenös eingeflößt wurde, eine erfahrene Schwester oder Hebamme, die sich neben mich setzte, mich beruhigte und mit mir zusammen atmete, sodass ich wieder etwas runter kam. Ich weiß nicht, wie lange diese Szene andauerte, aber irgendwann war das Zimmer wieder leer und es ging mir besser.

Früh am Morgen übermannte mich der Schlaf, vielleicht war es aber auch nur ein Dämmerzustand, denn die Gedanken ruhten nicht. Nach dem Frühstück sollte ich nochmal zum Ultraschall, vor dem ich noch etwas Angst hatte. „Vielleicht sind noch Reste vorhanden. Vielleicht muss ich doch zur Ausschabung.“ Aber Entwarnung, alles war leer. Genauso, wie ich mich fühlte.

Ich durfte mit meinem Mann nach Hause und sollte in zehn Tagen zur Kontrolle einen Termin bei meiner Frauenärztin ausmachen. Nun verließ ich also dieses Krankenhaus ohne Kind und erinnerte mich daran, wie wir vor zwei Jahren überglücklich mit unserer Tochter durch diese Türen gingen. Aber jetzt Trauer. Eine solche Traurigkeit kannte ich nicht. Ein Teil von mir war mir genommen worden. Und immer diese eine Frage: Warum?

Gestern wurde unser Sternenkind mit vielen anderen Sternenkindern in einem kleinen weißen Sarg mit goldenen Sternen beigesetzt. Dieses Bild war so traurig und so schön. Es soll so gewesen sein! Wir haben einen Baum gepflanzt, wie auch schon für unser erstes Kind. Es soll nicht vergessen werden und gehört zu uns und unserer Familie. Wir sind nun zweifache Eltern.

Jetzt will ich dieses Thema der Fehlgeburt nicht verschweigen und es soll mehr darüber gesprochen werden. Denn nun, da auch ich eine Frau mit solch einer Geschichte bin, und mit anderen Menschen darüber spreche, was mir sehr gut tut, wird mir bewusst, mit wie vielen Familien wir dieses Schicksal teilen.

Im Nachhinein bin ich sehr schockiert darüber, wie wenig man über dieses Thema aufgeklärt wird. Es war so schlimm, im Krankenhaus mit all diesen Fragen konfrontiert zu werden, über die man sich im Vorhinein keinerlei Gedanken gemacht hatte. Das habe ich auch meiner Frauenärztin zurückgemeldet und sie möchte in Zukunft den schwangeren Frauen die Chance geben, darüber aufgeklärt werden zu können. Es muss offener mit diesem Thema umgegangen werden!

Danke, für diese Seite, auf der es Platz und Raum für die Geschichten der Sternenkinder gibt! Danke, dass du meine Geschichte gelesen hast, und ich wünsche dir viel Kraft in dieser Zeit!

Das Ende vom Anfang – Julia
Julia (31)Lehrerin

Ich bin verheiratet und habe eine zweijährige Tochter. Seit Januar gehe ich wieder Vollzeit als Grundschullehrerin arbeiten.

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Eine früh erkannte Eileiterschwangerschaft

Am 24.02.2023 veröffentlicht.
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Eine kleine Geburt als selbstbestimmter Weg.

Am 27.06.2023 veröffentlicht.