Juliane (33)Projektmanagerin/Sängerin

Vorbei.

Julianes Geschichte ist eine Leidensgeschichte. Über ihr schwebt ein jahrelanger Kinderwunsch, der zerbrach, als sie glaubte, dass er endlich in Erfüllung geht.

9 Jahre ist es her, dass aus einer Idee ein tiefer Wunsch wurde und aus einem Wunsch der Entschluss: Ich möchte ein Kind haben.
8,5 Jahre ist es her, dass der Wunsch aufgrund einer sich auflösenden Beziehung aufs Eis gelegt wurde.
8 Jahre ist es her, dass ich einen Mann kennenlernte, der die Liebe meines Lebens sein sollte – und keine Kinder wollte.
6 Jahre ist es her, dass sich das Blatt wendete und wir von nun an bewusst an einer Familie „arbeiteten“. Von diesem Zeitpunkt an war kein Zyklusbeginn mehr ein Zyklusbeginn – sondern eine zerdrückte Hoffnung.
5 Jahre ist es her, dass wir unser Glück über einen positiven Schwangerschaftstest kaum fassen konnten – genauso wenig wie den fallenden Hormonwert und einsetzende Blutungen in der 5. Woche.
4 Jahre ist es her, dass wir nach unserer Hochzeit nochmal ganz von vorn begannen und anfingen, nach Ursachen zu suchen, Möglichkeiten auszuschöpfen.
3 Jahre ist es her, dass ich an den Punkt gelangte, endlich etwas gegen mein Übergewicht zu unternehmen – und dafür nicht nur viele körperliche Risiken, sondern ein bis zwei Jahre zusätzliche Wartezeit auf ein Kind auf mich nehmen musste.
2 Jahre ist es her, dass eine große Operation meinen Körper veränderte – und mein Leben weiter verbesserte. Die besten Bedingungen für den Kinderwunsch waren geschaffen.
1,5 Jahre ist es her, dass wir uns eingestehen mussten: So kann es nicht funktionieren. Wir können nicht mehr warten und müssen einen Weg einschlagen. Es folgten psychologische und medizinische Untersuchungen und Beratungen.
1 Jahr ist es her, dass wir von seiner praktischen Unfruchtbarkeit erfuhren.

10 Monate ist es her, dass wir uns für eine medizinische Unterstützung entschieden – obwohl wir keine Unterstützung aus dem Fonds erhalten sollten und das eiserne Sparen für die teure Behandlung weitere Monate Lebenszeit in Anspruch nahm.
5 Monate ist es her, dass die erste Behandlung abgebrochen und teuer bezahlt werden musste, weil mein Körper nicht reagierte, wie er sollte.
3 Monate ist es her, dass es endlich mit dem nächsten Behandlungsversuch weitergehen konnte – noch mehr Hormone, noch teurere Medikamente, noch größere Belastung.
2 Monate ist es her, dass auf einmal ENDLICH mal alles gut auszugehen schien. Die Behandlung schlug an, es konnten Eizellen entnommen und befruchtet werden. Dem nächsten Schritt stand nichts entgegen.

7 Wochen ist es her, dass mir ein winziger Zellhaufen, der der Beginn eines Lebens werden sollte, in die Gebärmutter gesetzt wurde.
5 Wochen ist es her, dass ich ungläubig einen positiven Test in der Hand hielt.
4 Wochen ist es her, dass eine kleine Fruchthöhle zu sehen war – an der richtigen Stelle, in der richtigen Größe, es sah alles bestens aus.
3 Wochen ist es her, dass auf dem Bildschirm ein winziges pochendes Herz zu sehen war.

18 Tage ist es her, dass winzige Schmierblutungen mir Sorgen machten, gleichzeitig die ganze Welt in eine riesige Krise rutschte und nichts mehr einfach war – schon gar kein Arztbesuch.
10 Tage ist es her, dass echtes Blut mir erst die Hoffnung nahm – und nach dem Anblick eines kräftig schlagenden Herzchens, zweier winziger strampelnder Beinchen und eines ungefährlich aussehenden Hämatoms die Sonne noch heller zu strahlen schien als je zuvor.
7 Tage ist es her, dass die Schmierblutung nahezu verschwunden war und die Hoffnung sich zu beruhigtem Optimismus wandelte. Da in mir – da war ein gesundes Baby und beim nächsten Termin sollte der Mutter-Kind-Pass mir nun endgültig weitere Sicherheit geben. Bald sollte die 9. Woche geschafft sein.

3 Tage ist es her, dass ich mit einem guten Gefühl zum Frauenarzt ging und nach 3 Sekunden am Schall wusste, da stimmt etwas nicht. Hier pochte nichts, hier strampelte nichts. Es lag einfach nur da.

2 Tage ist es her, dass ich in einen OP geschoben wurde und mir ein winziges kleines 8 Wochen altes Baby aus der Gebärmutter geschabt wurde.

Es war vorbei.

Aber das, was da in mir gestorben war, das war nicht nur ein kleines Baby, das im Herbst geboren werden sollte und das für die gesamte Familie ein Lichtblick in nie dagewesenen Krisenzeiten war. Es war der letzte kleine Funke, der ausgelöscht wurde.
Ein Glimmen, das hätte eine wärmende Flamme werden sollen, ist jetzt eiskalte Asche.

Nach all den Jahren, nach Tausenden enttäuschten Hoffnungen, nach Hunderten Neubeginnen, nach riesigen Entscheidungen, nach unendlichen und zahlreichen Wartezeiten, nach dem Aufbrauchen jeglicher Ersparnisse und nach insgesamt zwei Fehlgeburten – ist das Hoffnungsglimmen erloschen.

Ich habe Angst, es zuzugeben. Und ich habe vor allem große Angst, jemandem davon zu erzählen. Ich kann es nicht mehr hören, wie immer und immer wieder versucht wird, mir Hoffnung zu machen. Wie mir beteuert wird, wie sehr man spüren und wissen würde, dass das alles noch gut ausgehen würde. Ich fühle mich jetzt schon völlig unverstanden, ich habe doch schon am Tag des Arzttermins diese Sätze gehört, die Aufmunterungen und die Versicherungen, dass doch alles gut ausgehen würde.

Ich will eigentlich einfach nur, dass das Thema wirklich vorbei ist und sich auch so anfühlt.

Das Ende vom Anfang – Juliane
Juliane (33)Projektmanagerin/Sängerin

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Eine unerkannte Eileiterschwangerschaft

Am 01.04.2020 veröffentlicht.
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Am 03.04.2020 veröffentlicht.